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Digital In Arbeit

An meiner Uhr nagt der Holzwurm

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Vielleicht ist es gar nicht wahr, aber meine Genossen behaupten, daß die Uhren ln der Schweiz so billig seien, daß man sie beinahe umsonst bekäme. Ich frage mich nun, sind sie so billig, weil es reiner Schund ist oder weil 6ie kaum gehen, also nicht richtig fortschrittlich sind. So oder so, bei uns ist das ganz anders. Vielleicht hat unser Aktiv für Feinmechanik keine Zeit, sich mit der Zeit zu beschäftigen. Wahrscheinlich 6ind sie der Zeit längst voraus und bauen statt simpler Uhren die viel fortschrittlicheren Kilometermesser. So oder so: Uhren gibt’s bei uns nur von denen, die sie in den letzten Jahren mitbrachten. Ich habe keine Uhr, und es muß einmal gesagt werden, Genossen, so lebensnotwendig und fortschrittlich ist es gar nicht, immer eine Uhr mit sich herumzutragen. Denn, wann es Zeit ist, mit dem Arbeiten aufzuhören, das merkt man auch ohne Uhr. Wir arbeiten darum ja im Akkprd und viel zu planmäßig. Schlafen gehen kann man auch ohne Uhr, und beim Essen ist sie auch nicht nötig, denn da kommt es nie auf die Zeit, sondern auf den Hunger und die Geldbörse an.

Ja, aber in der Frühe rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, und das ohne so eine Uhr, das ist doch, offen gesagt, gar nicht so einfach. Natürlich kann man sich ja beim Nachbarn erkundigen oder schnell rum Bahnhof laufen. Was aber, wenn der Nachbar auch keine Uhr hat und die fortschrittlichen Genossen vom Eisenbahnkollektiv ihre Uhr stehenlassei , um nicht von einem simplen Mechanismus in der täglichen Arbeitszeit noch überholt zu werden? Mein Zimmernachbar beispielsweise steht morgens erst dann auf, wenn ich mich erhebe. Und ich wache auf, wenn meine Hauswirtin sich wäscht. Aber seit ein paar Tagen hat meine Wirtin Gelenksrheumatismus, und da geht sie etwas langsamer. Da kenne sich einer aus, wie spät es nun wirklich istl Glaubt es mir, Genossen, es ist schrecklich, ohne Uhr zu leben! Und das Schlimmste: seit fünf Tagen komme ich immer zu spät zum Dienst. Und mejne Genossen sagen: .Sei pünktlicher, Genosse, du lebst in einer fortschrittlichen Zeit und du solltest zehnmal früher als einmal zu spät kommen!“ Seitdem gebe ich mir natürlich schreck lich viel Mühe und stehe mit den Hühnern auf. Im Sommer ist das leichter, denn dann ist die Sonne meine Uhr. Der Fußboden in meinem Zimmer hat nämlich neben dem Ofen ein ganz großes Loch. Und wenn der erste Sonnenstrahl an dieses Loch herankommt, dann ist es genau fünf Minuten vor sieben, höchste Zeit also aufzustehen. Aber im letzten Sommer hat mich auch die sonst so gewissenhaft pünktliche Sonne richtig angeführt.

Werde ich doch da eines Tages wach und schaue auf meine Uhr. Bis zum Loch ist’s noch mehr als zwei Fingerbreiten. Es ist also genau halb sieben! Genügend Zeit, um sich noch einmal etwas auf die Seite zu legen. Ich schnarche also mit gutem Gewissen noch eine Runde und stehe dann in aller Ruhe auf.

„Zwanzig Minuten zu spät! sagt man mir.

„Brüderchen“, sage ich. „Das kann nicht sein. Meine Uhr geht genau!“

„Vielleicht geht deine Uhr nach!“ sagt der Genosse Kommissar.

„Jawohl, Genoąse Kommissar , antworte ich. „Natürlich geht die Uhr nach. Das Loch“, sage ich ihm, „geht nach, aber nicht meine Uhr. Sage selbst, Genosse Kommissar, geht über unserer Republik die richtige Sonne auf oder ist es plötzlich die falsche?“ Und ich erkläre ihm alles. „Aber Genosse“, erwidert er, „das ist eine alte Sache. Ich richtete mith lange Zeit nach einem’ Nagel im Fensterrahmen. Da senkte sich eines Tages der Balken um mehr als eine halbe Stunde! Zum Teufel, Genosse, so wird es auch bei dir sein. Du wirst sehen: dein Haus hat sich gesenktl

Der Genosse Kommissar hatte sich zwar etwas verschaut, denn nicht das Haus hatte sich gesenkt, sondern nur mein Fußboden. Seht ihr, wie schnell einem der Boden unter den Füßen unterhöhlt werden kann, wenn man nicht aufpaßt? Aber ich habe das Übel gefunden und beseitigt, radikal sogar. In meiner Uhr war der Holzwurm. Weil die Sonne jetzt im halben Zimmer bis ins Erdgeschoß scheint, geht meine Uhr zwei Stunden und zwanzig Minuten nach, aber sonst ist alles in Ordnung!

Deutsche Bearbeitung von H. F. Zuchachsky.

Chef, .kannst du dich auch wie ein anständiger Mensch benehmen.’“

„Ein vernünftiger Gedanke“, sagte Blabatsky.

„Jawohl“, sagte der Mann, „und darum wollte ich mein Ballönchen wieder zurück haben.

Sie wissen nun, warum ich dieser Wissenschaft den Rücken zuwandte und mich in Bussum als Uhrmacher niederließ. Sfc ist ein anspruchsloser Beruf, ich weiß es. Aber es ist schwarz auf weiß und man weiß genau, wie spät es ist.

Aus dem Niederländischen übersetzt von , A. F. C. Brosens.

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