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BRIEF NACH HAUSE

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Der Jüngere stand als verirrter Statist in der Abendkulisse einer unbegreiflich fremden Stadt und fühlte das, wie eine abgrundtiefe Blamage, bis in die Magengrube. Er dachte stark und fluchtartig an seine Frau, die in Wien zurückgeblieben war. Die Schultern vor- und hochgenommen, Hände in den Manteltaschen, blinzelte er dabei in einen Regen, den es gar nicht gab, der aber dazu gehört hätte, das Maß eines Tages zu füllen, dler seinen anfangs so sicheren Schwung nun ganz verloren hatte — Vorsprache nach Vorsprache — alles endete so unverbindlich, wie begonnen, an Wänden von Glas.

Der Ältere, auf einem kurzen, geraden Weg begriffen, schnurstracks von seinem Heim zu dem des Schwagers, wäre beinahe vorbeigegangen. Aber das Licht der Verkehrsampel wechselte; hielt auf; sie erkannten einander gleichzeitig.

Thomas Khiels hieß der Jüngere. Schon hinterm ersten So und So fühlte er schuldbewußte Erleichterung. Ich bin ein rundherum abhängiger Mensch — ohne Selbständigkeit, dachte er. Da muß ich nach Düsseldorf kommen, daß ich schon am ersten Tag find', daß ich sogar von Wien abhängig bin; sowas! Er versäumte ein paar Sätze von Schorsch. Vielleicht hab' ich deshalb alles falsch gemacht, heute.

Dennoch gelang es ihm, an richtiger Stelle zu nicken. „Ja, ich bin geschäftlich hier. Mein erster Tag. Sitz' bis zum Hals im feindlichen Ausland, weißt du.“

„No —!“ sagte Schorsch. Er sah den Jüngeren von der Seite an. „Hast du schon gegessen?“

Thomas hatte niiohts gegessen. „Ja“, sagte er.

„Wunderbar“, sagte Schorsch. „Ich nehm' dich mit, zu meiner Schwester; da wirst gleich lernen, wie man's macht; Wien in Düsseldorf. Dabei ist sie mich nur einmal besuchen gekommen, in meiner Verbannung, und jetzt kann sSete besser

als ich. Das war vor zwei Jahren, und jetzt schau sie an. So gut gefallen hat's ihr, daß sie gleich geheirat' hat.“

„Gegen wen denn?“ fragte Thomas.

„Kennst ihn nicht“, meinte Schorsch. „Ein Deutscher. Lieber Mensch, übrigens. Ich geh fast jeden Tag hin, Luft holen. Und heut' ist überhaupt Mittwoch. Jeden Mittwoch apres. Immer nette Leut' da. Sie wohnen gleich drüben.“

Der Ältere und der Jüngere querten die Straße. Gaumig schnalzte eine Schwingtür. Schon hob sie der Aufzug an; sanfte Magenbelastung. Übern schmucklos, grauen Gang, Tür auf, verhuschtes Dienstmädchen, in eiifen Vorraum ohne Widerstand. Auch bereits Kammstrich vorm Spiegel. Keine Zeit, sich in die Augen zu sehen, denn zwischen den Schulterblättern ist schon das Warten der Hausfrau zu spüren.

Thomas merkte den Ruch der fremden Häuslichkeit erst, als er in den Salon geriet, hinter dem sich noch ein zweiter Raum öffnete: Eintreten war das keines — als hätte sein Kommen nicht einmal das bißchen Aufstehen bedeutet, als es, gleich am Rande der Gäste, zwei geschwinde Vorstellungen gab. Dann sollte sich das Bekanntwerden, nach guter, österreichischer Unart, halt irgendwie von selber weiterentwik-keln. Wenn da einer Mayer heißt, oder so, ist er doch glatt verloren.

Von der Dame des Hauses und Schorsch alleingelassen, versickerte Thomas zunächst durch freiwillige Zurückhaltung. Hier konnte man sich's leisten. Es war der richtige Boden dazu: Wien in Düsseldorf, wirklich.

Erst in der Ferne sah er die Schwester seines Freundes deutlicher, gerahmt von der Tür in den Nebenraum; wunderte sich darüber. Ja, die weiß wirklich, wie man's macht; leider ist sie dem Schorsch ähnlicher, als er sich selbst, sowas. Hat wirklich imehr als das gleiche Gesicht Hinderlich, wenn man

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