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Die Reise des Weinen Prinzen

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Eines Tages hatte der kleine Prinz Lust zu reisen. Er verließ seinen Planeten und landete auf einem anderen Planeten, der von einem Eitlen bewohnt war.

„Ah, ah, sdiau, schau, ein Bewunderer kommt zu Besuch!“ rief der Eitle von weitem, sobald er des kleinen Prinzen ansichtig wurde. Denn für die Eitlen sind die anderen Leute Bewunderer.

Guten Tag“, sagte der kleine' Prinz. üSie haben einen spassigen Hut auf.“

Der ist zum Grüßen“, sagte der Eitle. „Er ist zum Grüßen, wenn man mir zujauchzt. Unglücklicherweise kommt hier niemand vorbei.“

1 Ach ja?“ sagte der kleine Prinz, der nichts davon begriff.

Schlag deine Hände zusammen“, empfahl ihm der Eitle.

Der kleine Prinz schlug die Hände gegeneinander. Der Eitle grüßte bescheiden, indem er seinen Hut lüftete.

Das ist unterhaltend, sagte sich der kleine Prinz. Und er begann von neuem die Hände zusammenzuschlagen. Der Eitle wieder fuhr fort, seinen Hut grüßend zu lüften.

Nach fünf Minuten wurde der kleine Prinz der Eintönigkeit dieses. Spieles überdrüssig:

Und was muß man tun“, fragte er, j,damit der Hut herunterfällt?“

Aber der Eitle hörte ihn nicht. Die Eitlen hören nur immer die Lobreden.

Bewunderst du mich wirklich sehr?“ fragte er den kleinen Prinzen.

.Was heißt bewundern?“

Bewundern heißt erkennen, daß ich der schönste, der bestangezogene, der reichste und der intelligenteste Mensch des Planeten bin.“

Aber du bist doch allein auf deinem Planetenl“

Mach mir die Freude, bewundere mich trotzdem!“

Ich bewundere dich“, sagte der kleine Prinz, indem er ein bißchen die Schultern hob, aber wozu nimmst du das wichtig?“

Und der kleine Prinz machte sich davon.

Die großen Leute sind entschieden sehr verwunderlich, stellte er auf seiner Reise fest.

Dem nächsten Planeten bewohnte ein Säufer. Dieser Besuch war sehr kurz, aber er tauchte den kleinen Prinzen in eine tiefe 'Schwermut.

„Was machst du da?“ fragte er den Säufer, den er stumm vor einer Reihe leerer Flaschen sitzend antraf.

Ich trinke“, antwortete der Säufer mit düsterer Miene.

Warum trinkst du?“ fragte ihiß der kleine Prinz.

Um zu vergessen“, antwortete der Säufer.

Was willst du vergessen?“ erkundigte sich der kleine Prinz, der ihn sehr bedauerte.

Um zu vergessen, daß ich mich schäme“, gestand der Säufer und senkte den Kopf.

Weshalb schämst du dich?“ fragte der kleine Prinz, der den Wunsch hatte, ihm zu helfen.

Weil ich saufe!“ endete der Säufer und verschloß sich endgültig in sein Schweigen.

Und der kleine Prinz verschwand bestürzt.

Die großen Leute sind entschieden 6ehr, sehr verwunderlich, sagte er zu sich auf seiner Reise.

*

Der nächste Planet war der des Geschäftsmannes. Dieser Mann war so beschäftigt, daß er bei der Ankunft des

kleinen Prinzen nicht einmal den Kopf hob.

Guten Tag“, sagte dieser zu ihm. Ihre Zigarette ist ausgegangen.“

Drei und zwei ist fünf. Fünf und sieben ist zwölf. Zwölf und drei ist fünfzehn. Guten Tag. Fünfzehn und sieben ist zweiundzwanzig. Zweiundzwanzig und sechs ist achtundzwanzig. Keine Zeit, sie wieder anzuzünden. Sechsundzwanzig und fünf ist einunddreißig. Uff! das macht also fünfhunderteine Million, sechs-hundertzweiundzwanzigtausendsiebenhun-dertunddreißig.“

„Fünfhundert Millionen, wovon?“

Wie? Du bist immer noch da? Fünfhunderteine Million von... ich weiß nicht mehr... ich habe soviel Arbeit! Ich bin ein ernsthafter Mann, ich gebe midi nicht mit Kindereien ab. Zwei und fünf ist sieben...“ „Fünfhunderteine Million, wovon?“ wiederholte der kleine Prinz, der niemals in seinem Leben auf eine Frage verzichtete, die er einmal gestellt hatte.

Der Geschäftsmann hob den Kopf.

„In den vierundfünfzig Jahren, die ich auf diesem Planeten bin, bin ich nur dreimal gestört worden. Das erstemal war es vor zweiundzwanzig Jahren ein Maikäfer, der von Gott weiß wo heruntergefallen war. Er machte einen schrecklichen Lärm, und ich habe in einer Addition vier Fehler gemacht. Das zweitemal, vor elf Jahren, war es ein Anfall von Rheumatismus. Es fehlt mir an Bewegung. Ich habe nicht Zeit, herumzubummeln. Ich bin ein ernsthafter Mann. Und das ist nun das drittemal! Ich sage also, fünfhunderteine Million ...“

„Millionen wovon?“

Der Geschäftsmann begriff, daß es keine Aussicht auf Frieden gab: „Millionen von diesen kleinen Dingern, die man manchmal am Himmel sieht.“

„Fliegen?“

„Aber nein, kleine Dinger, die glänzen.“

„Bienen?“

„Aber nein, kleine goldene Dinger, von denen die Nichtstuer träumerisch werden. Ich bin ein ernsthafter Mann, ich habe nicht Zeit zu Träumereien.“

„Ach, die Sterne?“

„Dann sind es wohl die Sterne.“

„Und was machst du mit den fünfhundert Millionen Sternen?“

„Fünfhunderteine Million, sechshundert-zweiundzwanzigtausendsiebenhundertein-unddreißig. Ich bin ein ernsthafter Mann, ich nehme es genau.“

„Und was machst du mit den Sternen?“

Was ich damit mache?“

.Ja.“

Nichts. Ich besitze sie.“ „Du besitzt die Sterne?“ „Ja.“

„Und was hast du davon, die Sterne zu besitzen?“

„Das macht mich reich.“

„Und was hast du vom Reichsein?“

„Weitere Sterne kaufen, wenn jemand welche findet.“

Der da, dachte sich der kleine Prinz, denkt ein bißchen wie mein Säufer. Indessen stellte er noch weitere Fragen.

„Wie kann man die Sterne besitzen?“

„Wem gehören sie?“ erwiderte mürrisch der Geschäftsmann.

„Ich weiß nicht. Niemandem.“

„Dann gehören sie mir. Ich habe als erster daran gedacht.“

„Das genügt?“

„Gewiß. Wenn du einen Diamanten findest, der niemandem gehört, dann ist er dein. Wenn du einen Einfall hast und du läßt ihn patentieren, dann ist er dein.

Und idi, ich besitze die Sterne, da niemand daran gedacht hat, sie zu besitzen.“

„Das ist wahr“, sagte der kleine Prinz. .Und was machst du damit?“

.Ich verwalte sie. Ich zähle sie und zähle sie wieder“, sagte der Geschäftsmann. „Das ist nicht leicht. Aber ich bin ein ernsthafter Mann.“

Der kleine Prinz war noch nicht zufrieden.

„Wenn ich einen Seidenschal habe, kann ich ihn um meinen Hals wickeln und mitnehmen. Wenn ich eine Blume habe, kann ich meine Blume pflücken und mitnehmen. Aber du kannst die Sterne nicht pflücken.“

„Nein, aber ich kann sie in die Bank legen.“

„Was soll das heißen.“

„Das heißt, daß ich die Zahl meiner Sterne auf ein kleines Papier schreibe. Und dann sperre ich dieses Papier in eine Schublade.“

„Und das ist alles?“

„Das genügt.“

Das ist amüsant, dachte der kleine Prinz. Es ist fast dichterisch. Aber es ist nicht ganz ernst zu nehmen.

Der kleine Prinz dachte über diese ernsthaiten Dinge völlig anders als die großen Leute.

„Ich“, sagte er noch, „ich besitze eine Blume, die ich jeden Tag begieße. Ich besitze drei Vulkane, die ich jede Woche kehre. Denn ich kehre auch den erloschenen. Man kann nie wissen. Es ist gut für meine Vulkane und für meine Blume, daß ich sie besitze. Aber du bist für die Sterne zu nichts nütze ...“

Der Geschäftsmann öffnete den Mund, aber er fand keine Antwort, und der kleine Prinz verschwand.

Die großen Leute sind entschieden ganz ungewöhnlich, sagte er sich auf der weiteren Reise.

Aus „Der kleine Prinz“, Verlag Karl Rauch, Bad Salzig,

Vor sieben Jahren, am 31. Juli 1944, starb

ANTOINE DE SAINT-EXUPfiRY

den Fliegertod

„Nicht das Leben ist schwer, sondern die Liebe. Die Liebe, die sich in ihrem vollen Umfang betätigt, diese Religion der Errettung — ich meine die wahrhaft christliche Liebe, nicht jene leichtfertige Sympathie, die brave Herzenszärtlichkeit oder die angeborene Menschlichkeit, nein, das wirklich bis ins Blut hinein Sichselbstvergessen — die reine Selbsthingabe im Geiste, mit der man im Feinde so lange nach dem Freunde sucht, bis er dazu wird. Diese -schwere Liebe — das ist die tapfere, wahre Liebe.“

WERKE VON ANTOINE DE SAINT-EXUP£RY

(In Klammern die Titel der deutschen Übersetzungen)

1928

Courrier Sud (Südkurier) 1931

Vol de Nuit (Nachtflug) 1938

Terre des Hommes (Wind, Sand und Sterne) 1942

Pilote de Guerre (Flug nach Arras) 1943

Lettre a un Otage (Briefe an einen Ausgelieferten)

1943

Le Petit Prince (Der kleine Prinz)

1948 - aus dem Nachlaß Citadelle (Weisheit der Wüste)

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