6558087-1948_33_09.jpg
Digital In Arbeit

Eichenstreit

Werbung
Werbung
Werbung

Wie verwunderliche Einfälle doch das Leben für uns bereithält! Kommt unser neuer Herr Pfarrer zu mir: Ob nicht auch ich ihm eine Eiche überlassen möchte? Ich habe es schon reden gehört, daß er Eichen sammelt für neue Kirchenbänke. In seinem eigenen Wald, dem Kirchenwald, steht kaum ein Dutzend schlagbarer Eichen, und er braucht deren wohl doppelt soviel. Jetzt, im Winter will er sie Schlägern, hernach soll das Holz zwei Jahre lang trocknen, und dann werden wir bald nicht mehr auf wackeligen, wurmstichigen Weichholzbänken beten, sondern auf festen, eichenen, und nicht einmal die wird bedrohlich aufächzen, auf die sich unser Wirt und Fleischhauer niedersetzt. Schön wird das sein. Leider aber, lieber Herr Pfarrer, besitze ich keine einzige Eiche, und es sieht nicht danach aus, daß ich es im Leben noch zu einer bringen könnte. „Doch!“ meint er und schmunzelt geheimnisvoll. „Sie besitzen eine. Sie wissen es nur nicht." Wer mag ihm denn dieses Märchen aufgebunden haben? Nicht das kleinste Stücklein Wald nennt sich mein Eigen, nicht das dünnste Stämmchen, nicht der kümmerlichste Strauch. Eine Eiche gar, eine schlagbare Eiche, die pflegt der Herr nicht einmal den Seinigen im Schlafe heranwachsen zu lassen. Ein Irrtum, verehrter Herr Pfarrer.

Ob ich Zeit hätte für einen kleinen Spaziergang hinauf zu meinem Bergwieseri, das an den Pfarrerwald angrenzt? Ach so, dort oben also soll sie stehen, meine Eiche. Niemals ist dort eine gestanden. Einen Augenblick, bitte, ich lege meine genagelten Stiefel an, das ist kein so unbeschwerlicher Weg.

Mein Begleiter steigt rüstig voran, voll Leben, voll Unternehmungslust und Zuversicht. Hinter uns versinkt das Dorf im Nebel, nur durch Hähnekrähen und Kuhgebrumm verrät es sich noch bisweilen. Wo der steinige Hohlweg endet, treten wir in den Wald. Seit etlichen Jahren schon war ich nicht mehr hier heroben. So stiefväter- lich bin ich in der letzten Zeit mit dem Wieseri verfahren, das mir meine Mutter hinterließ, und hübe nicht das Finanzamt alljährlich ein paar Schilling Grundsteuer bei mir ein, ich wüßte kaum, ob diese „Parzelle“ überhaupt noch vorhanden ist. Allerdings kann es auch vorkommen, daß mir so um Ostern herum die Wehofnerin ihre Kinder schickt mit etlichen Eiern „fürs Wieseri“, auf dem sie sich das Futter für ihre beiden Ziegen mäht, aber meist vergißt sie mich, sehr zum Unterschied vom Finanzamt, welches niemals auf mich vergißt. Früher, als ich noch besser zu Fuß und daher wanderlustiger war, zog es mich öfter da herauf, und es bereitete mir einen heimlichen Spaß, daß mir niemand auf der weiten Welt das Betreten dieser Wiese verbieten konnte, und daß ich mir hier sogar Erdbeeren unbedenklich pflücken durfte, wenn ich zwischen Johanniskraut, Hauhechel und Rainfarn solche erspähte. Mit üppigen Gräsern weiß das Wieseri nicht aufzuwarten, der Wald bedrängt es gar zu räuberisch mit Wurzeln und Schatten, und Dung hat es wohl überhaupt noch nie zu kosten bekommen, wenn man von den kaum nennenswerten Leistungen absieht, welche

Rehe und Hasen in dieser Hinsicht beizutragen vermögen.

Nebelüberhangen in die Waldecke geschmiegt, empfängt uns die kleine Wiese mit dem ganzen Zauber ihrer Einsamkeit. „Dort, sehen. Sie, Ihre Eiche." Der schöne Baum am Waldrand, auf den der Herr Pfarrer hinweist, trägt noch über und über all sein rostrotes Laub, während die Buchen rundum all das ihre schon längst abgeworfen haben. Ich halte Ausschau nach den Grenzsteinen. Einer schimmert grau aus der Waldecke her, der andere ragt am Ende der Wiese frei aus dem Grasboden. „Sie sehen doch, verehrter Herr Pfarrer, die Eiche bleibt deutlich außerhalb der Linie. Sie steht in Ihrem Wald." „Soso“, sagt er und tritt hinter den Baum. „Und was wäre denn das da?" Zwei stachelige Schlehensträucher biegt er auseinander. Ein Stein wird sichtbar, den ich bisher nie gesehen habe. Ach was, sage ich, das sei doch kein Grenzstein, kein „March". Ein Feldstein, der zufällig daliege. „Meinen Sie?“ Er beugt sich nieder und hebt den Stein mit einem kräftigen Ruck ein Stück hoch aus dem Boden. „Der liegt nicht zufällig da. Der ist eingegraben. Und schön behauen ist er auch. Das ist( ein March. Die Grenze geht hier nicht geradlinig, sie macht ein kleines Ede. Und die Eiche gehört zum Wieseri." Nein, die gehöre zum Wald, beharre ich', und das müsse auch die Grundbuchmappe bestätigen. „So kleine Abweichungen verzeichnet keine Mappe, da muß man sich auf das March verlassen", belehrt mich der Bauernsohn aus dem Mühlviertel.

Nein, so kommen wir nicht weiter. Plötzlich fällt mir etwas recht Gescheites ein. „Wenn die Eiche mir gehören würde“, sage ich, „so gäbe ich sie mit Freuden für eine Kirchenbank her. Wozu der ganze Streit? Eine Kirchenbank wird auf jeden Fall aus ihr, ob sie im Pfarrerwald steht oder auf meinem Wieserl.“ „Wird mit großem Dank zur Kenntnis genommen“, sagt er, und seinen Händedruck werde ich morgen noch spüren. Aber damit sei er nicht zufrieden. Erst müsse ich zugeben, daß die Eiche mir gehöre, denn er könne mir nicht zumuten, etwas zu verschenken, was ich nicht als mein Eigentum anerkenne, sondern als unrecht Gut betrachte. Indessen gedenke er, mir meinen Trotz schon abzukaufen.

Auf dem Heimweg reden wir von den neuen Kirchenbänken. Daß sie nicht gestrichen werden sollen, nur mit Firnis eingelassen, damit man das schöne, warme Holz sehe und verspüre. Und überhaupt hat der neue Herr Pfarrer mit unserer Kirche noch allerlei anderes im Sinn, was dem lieben Gott und uns Freude machen soll. So darf zum Beispiel die geschnitzte .Madonna, die ihr göttliches Kindlein schon seit mehr als vierhundert Jahren auf dem Arme trägt, wie in der Kunsttopognaphie zu lesen steht, nicht länger im finsteren Hintergründe unbeachtet verstauben, sie muß restauriert werden und auf den Seitenaltar kommen.

Im Dorf unten nötigt mich der Herr

Pfarrer, beim alten Liegerer einzutreten, der, sooft jemand stirbt, allemal unser braver Totengräber ist. Heute mistet er gerade seinen Kuhstall aus. Nun also, fordert ihn der Herr Pfarrer auf, jetzt möge er mirs sagen, welche Bewandtnis es mit dem Stein hinter der Eiche auf meinem Wieserl habe. Ob das ein March sei oder nicht? Zieht der Liegerer seine Stummelpfeife mit dem selbstgebauten, ungeheuerlich stinkenden Tabak bedächtig aus seinem Bartgestrüpp hervor und spricht: „Das ist ein March.“ Wieso er denn das so sicher behaupten könne, begehre ich zu wissen. „Weil ich als kleiner Bub grad genug bin gebeutelt worden, wie sie es gesetzt haben. Aber hernach hab ich eine gute Jausen gekriegt."

Denn dieses war, mag er auch manchem nicht recht gefallen, auch einer von den alten, heute längst aus der Übung gekommenen Bauernbräuchen, daß man, wenn ein March gesetzt wurde, einen aufgeweckten Schulbuben zuschauen ließ, ihm dabei gehörig den Schopf beutelte und ihn hernach mit einer süßen Jause, etwa auch mit einem blanken Silbergulden bedachte, daß er sich diesen Tag. gut merken möge sein ganzes Leben lang und für den bedeutsamen Vorgang Zeugenschaft ablegen könne.

Das Überholz, die Äste, werde er mir aufheben, will mich der Herr Pfarrer für meine Niederlage trösten. Schön, das wärmt mir freilich mein Stüblein wohl einen halben Winter hindurch. Wichtiger aber ist mir, daß mir dereinst der Tischler die Bank bezeichnen kann, zu der er meine Eiche verarbeitet hat, denn in dieser will ich mir meinen Platz wählen und meiner lieben Mutter gedenken, der ich die unverhoffte Freude verdanke, unserer Kirche zu einer ihrer neuen Bänke verholfen zu haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung