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GericJit über Aida

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Von zwei Herren flankiert, einem Riesen und einem ergeben-kleinen Mann, folgte die feine und zugleich behäbige Gestalt Richard Wagners. Wie immer, diskutierte er eifrigst. Wie immer zuckte der ungenügende Körper, der allzuviel Gedankenströme täglich und stündlich aussenden mußte. Den Kindern nach bewegten sich die drei Herren auf die Musiktribüne zu.

Erstarrt blieb der Maestro stehen. Ein Nervenriß durchblitzte ihn von Kopf zu Füßen: Wagner!

Zum zweitenmal kam er, laut seinen Begleitern predigend, ihm entgegen. Zum zweitenmal, ehern auf seinem Platz wurzelnd, erwartete Giuseppe Verdi den furchtbaren Gegner, der seinen Stolz so sehr gebeugt hatte, daß er alles und sich selbst nur mehr an ihm messen mußte. Sollte dieser Mensch sich ewig überheben? Durfte er, Verdi, dulden, daß ein höherer Mensch als er lebe und herrsche? Seinem Königsmut war das unerträglich. Darum war er ja nach Venedig gekommen, um ihm entgegenzutreten, ihn zu besuchen, zu sprechen, zu hören, zu erkennen, zu überzeugen. Aber der männlich-edle Besuch war nicht zustande gekommen. ’Allzu groß war der eigene Hochmut, die eigene Scham. Doch jetzt, im entscheidendsten Augenblick, bot noch einmal das Schicksal sich an.

Wagner hatte die beiden Herren, den Maler Joukowsky und den Kapellmeister Levy, zurück zu seiner Frau gesandt und ging jetzt allein voran und geradewegs auf den Maestro zu.

Verdi fühlte in der laut aufrufenden Seele:

„Ihm entgegentreten, mich nennen! Die Begegnung ist da! Jetzt oder nie!“

Immer schärfer, immer wirklicher nahte das Antlitz, der zusammengekniffene Mund, die Eroberernase, das helle Auge enträselte sich. Er wollte, er wollte ... Aber noch war der Maestro nicht frei. Herzaufwärts stieg die Verfinsterung kalt ins Auge. Und zum zweitenmal, ähnlich wie im Foyer des Theaters La Fenice, begab sich das rasche, okkulte Drama der sich kreuzenden Blicke, die beide mehr sprachen und wußten, als sie sprachen und wußten. Tief erstaunt und mühsam, als ob er sich ganz vergangener Dinge entsinnen wolle, haftete Wagners Auge am stolzbesessenen Gesichte des Italieners. Hatte er dieses Gesicht, diese abgeschlossene, ins Weite zielende Kraft schon einmal gesehen, eine Abbildung, eine Photographie? ... Wiederum endete dieses Renkontre der Blicke damit, daß in Wagners Auge die Weiblichkeit zu locken begann: „Warum hassest du mich, warum beugst du dich nicht der einzigen Wahrheit, die ich bin, warum stimmst du nicht ein in den Lobgesang wie alle andern?“

Noch immer — es war geradezu unnatürlich — regte sich der Maestro nicht. Dadurch geschah es, daß Wagner, der ganz hypnotisiert auf den breitwurzelnden Mann zuschritt, zu spät auswich und den Fremden ein wenig anstieß. Überaus höflich aber kehrte er sich um, zog den Hut und sagte italienisch:

„Entschuldigen Sie!“

Auch der Maestro zog nun mit einer kleinen Verbeugung seinen Hut und antwortete mit der kaum hörbaren Stimme eines aufgestörten Träumers:

„Bitte! Bitte!“

Im selben Moment, als- hätten infernalische Mächte diese höhnische Wirkung abgekartet, setzte das Orchester mit dem dröhnenden Kömigsmarsch einer „ATda“- Phantasie ein. Anfangs wollte der Maestro die Fassung verlieren, so peinlich, so schrecklich war es ihm, daß vor diesem

Richter seine Musik anhub. Aber wie ein Schwerhöriger, dessen Ohren plötzlich auftauen, erkannte er nach den ersten Takten die Herrlichkeit dieser Gesänge.

Er sah zu Wagner hin, zu dem die beiden Herren zurückgekehrt waren. Auch der Feind mußte ja trotz Blechklangs und Arrangementsverballhornung die Melodie, die mächtige Melodie erkennen. Er, von allen Menschen einzig er. Unablässig sah der Maestro zu der kleinen Gruppe hin, die gar nicht weit von ihm entfernt stand.

Aber Richard Wagner schien die Musik nicht zu hören, sondern den lauschenden Verehrern mit weiten Gebärden eine philosophische Deduktion vorzutragen. Seins Stimme war dabei so laut, daß sie im Schall der Posaunen und Trompeten nicht unterging-

Aidas Gebet, das Duett mit Amneris, das große Heimkehrfinale zogen vorbei, ohne daß der Deutsche aufgehorcht und seine Rede unterbrochen hätte.

All seine Köstlichkeiten sah der Maestro verworfen. Der Stolze, dessen Ruhm in jedem Winkel der Erde daheim war, jetzt blickte er mit schwindender Hoffnung zu dem Manne hin, der diesen Sängen sein Ohr nicht lieh.

Die Nilszene kam. Wagner sprach. Aidas Heimwehlied, ihr. Duett mit Amonasro. Wagner sprach. Aida, Radames! Wagner sprach und sprach.

Mit solcher Enttäuschung und Bitterkeit hatte der Maestro niemals, auch bei

klichsten Werken nicht, den wirkungslosen Ablauf verfolgt wie hier auf der Piazza San Marco des Karnevalsdienstags dieses Jahres, da die plärrende Blechkapelle seine „Aida“ unnahbaren Ohren preisgab.

Und jetzt kam der größte Herzensaugenblick der Musik;

Die unglücklich liebende Amneris versucht den Helden. Er aber entsagt nicht, er ist zum Tod bereit. Doch sie wirft sich ihm noch einmal entgegen, und die begeisterte Melodie, die je eine Todesqual durchbrochen hat, schwingt sich auf:

„Du? Sterben?

Nein! Du sollst leben!“

Ist das noch Kabaletta? Ist das noch dünnflüssige Kantilene? Ist das noch Oper? Ist das noch Konvention? Hört er noch immer nicht?

Richard Wagner bricht deutlich mitten im Gespräch ab und wendet sein Auge langsam dem Orchester zu, dessen Kapellmeister über diesen Gesang in Raserei geraten ist: „Vaterland und Ehre,

Alles, alles gab ich hin für dich!“

Wagner scheint den anderen, die das Gespräch wieder aufnehmen wollen, abzuwinken. Genießend lehnt er ein wenig den Kopf zurück. Gewiß, gewiß! Er horcht! Er versteht:

„Auch ich hab alles, alles für sie hingegeben.“

Ein Glück durchglüht den Maestro. Krampfhaft pressen sich die Fäuste in den Taschen des Überrocks zusammen. Jetzt kann er es tun. Jetzt kann er sprechen. Er macht einige Schritte. Es ist gleichgültig, welche untergeordneten Geschöpfe Zeugen der Begegnung sein werden.

Die Melodie der Amneris stürzt den Felsen ihrer Kadenz hinab.

Wagner — dem Maestro entgeht jetzt nichts mehr — wendet sich fragend an Levy. Verdi hört deutlich das Wort: „Aida." Unwillkürlich hebt er die Arme. Wagner aber, so scheint es dem Erregten, macht ein verdrossenes Gesicht und eine sehr abfällige Handbewegung...

Die Musik spielt den kanonischen Marsch der Priester, die zum Gericht schreiten.

(Aus dem Buch: „Verdi, Roman einer Oper', mit Genehmigung des Bermann-Fischer-Ver- lages, Wien)

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