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Mein Mann wird sportlich

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Nun werden die Schläfen meines Guten immer grauer. Man könnte auch nicht behaupten, daß sein Gesicht glatter geworden sei in den letzten fünf Jahren, obwohl es gegen damals runder wurde. Diese Eigenschaft teilt er ja mit vielen Männern, die gut über die Währungsreform kamen. Aber die Falten wurden dadurch nicht ausgebügelt.

Es ist ratsam, Männern, die die Vierzig überschritten haben, öfter zu sagen, daß sie viel jünger aussähen. Wenn sie älter als Sechzig sind, sagen sie es von selbst.

Früher merkte man daran, daß ein Mann älter wird, wenn 17jährige Mädchen „Onkel“ zu ihm sagten. Heute merkt man es in erster Linie daran, daß sie nahezu über Nacht sportlich werden. Mein Mann wird also sportlich. Nicht, daß er jeden Vormittag Gymnastik triebe oder einem Anglerklub beigetreten wäre, aber er kleidet sich betont jung.

Bis vor einem halben Jahr wäre er niemals ohne einen seiner drei Homburg-Hüte auf die Straße gegangen. Auch der Regenschirm mußte immer zusammengerollt über dem Arm hängen. Das nannte er die „dezente, elegante Note“. Davon ist nicht viel geblieben. Unlängst kaufte er sich eine dieser unpraktischen, dreiviertellangen, imprägnierten Jacken mit einer angenähten Kapuze auf dem Rücken, so ein Mittelding zwischen Dufflecoat und Anorak, bei dem, wenn es regnet, immer die Knie naß werden.

„Ich finde das Ding sehr bequem“, sagte er. Es klang wie eine Entschuldigung. „Wenn es regnet, braucht man nur die Kapuze hochzuziehen.“

Da er noch eine braune Baskenmütze trägt, korrurit das nie vor. Genau sowenig spannte er ehedem seinen Schirm auf. Wenn es regnete, zog er früher einen normalen Regenmantel an und ließ den Schirm zu Hause. Aber er gab niemals zu, daß er den Parapluie nur aus dekorativen Gründen besaß. Seit den grauen Schläfen steht der Schirm permanent im Schrank und langweilt sich.

„Ich habe die sportliche Note viel zu spät für mich entdeckt“, bekannte er unlängst. „Wenn ich nur früher geahnt hätte, daß man sich in solcher Kluft so ungezwungen fühlt, hätte ich schon lange damit begonnen.“

Er sieht aber durchaus nicht sportlich aus, sondern eher wie ein nachgemachter Intellektueller. Ich hüte mich natürlich, ihm das zu sagen.

Ehedem liebte er bei seinen Anzügen dunkle Stoffe mit dünnen Streifen und sah darin mit 30 Jahren sehr distinguiert aus. Alles Auffällige war ihm verhaßt. In der vergangenen Woche nun kam er mit einem Kümmel-und-Salz-Jackett von einer Grellheit, daß man die Augen schließen mußte. Von V-Linie enthält es keine Spur, sondern hat mächtige, auswattierte Schultern wie bei einem Boxer. Das halte ich gleichfalls für symptomatisch. Neuerdings schaut er sich zuweilen nach Mädchen um, was er früher nie tat. Dabei tut er mir ein bißchen leid, denn es handelt sich um blutjunge, fröhlich zwitschernde Dinger, die an ihm vorbeischauen. Leichenblaß wurde er, als vor wenigen Tagen in der, Straßenbahn eine vielleicht Fünfzehnjährige aufstand und ihm ihren Platz anbot. Ich saß gegenüber und tat, als bemerkte ich nichts. Um ehrlich zu sein: das gab auch mir einen kleinen Stich. Die Jugend kann in ihrer Höflichkeit so grausam sein.

Aelter werdenden Männern muß man als Frau viel Trost spenden. „Seit du näher an die Fünfzig rückst, hast du viel mehr Profil als früher. Dein Gesicht hat eine markante Form bekommen.“

Oder: „Was, du bist die sechs Treppen hochgelaufen, ohne den Fahrstuhl zu benutzen? Das macht dir kein Fünfziger nach. Aber du siehst ja auch aus wie Vierzig.“

Oder: „Hast du bemerkt, wie im Konzert das junge Mädchen rechts neben dir dich immerzu anhimmelte? Ich wurde richtig eifersüchtig.“

Man muß den Männern den Seelenfrieden erhalten. Komplimente geben sie hundertfach zurück, so es sich nicht um phantasielose Tölpel handelt. Aber diese heiratet man ja nicht.

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