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Pater Q. suchte mich in meinem Hotel auf und rief den Bischof von Tulancingo an. Durch das Telephon sprach er ihn mit Senor an — „Si, Senor, no Senor.“ Dann statteten wir ihm einen Besuch ab. Er war dunkel, kräftig und jung und erinnerte mich ein wenig an einen italienischen Diplomaten. Er schien mir in einer mehr praktischen und weniger religiösen Umgebung zu leben. Er trug schwarze Zivilkleidung — nur sein Ring verriet seinen Rang — und hatte ein einnehmendes Betragen voll Autorität und Humor. Er war wie ein General auf dem Kampffeld, und sein Kampffeld war nicht seine Diözese allein, sondern das ganze Gebiet der Verfolgung. Mit sechs Mädchen hatte er in den Tagen der schlimmsten Verfolgung einen Schulungskurs begonnen. Zu der Zeit, als der Jesuit Pater Pro erschossen wurde, war er selber auch im Gefängnis. Pro war nicht ein vereinzeltes Opfer — er zählte andere auf, die er gekannt hatte, während wir zusammen eine Fahrt nach Chapultepec machten, er sprach über den Tod mit tiefer Genugtuung. „Die Kirche bedurfte des Blutes“, sagte er. „Sie braucht immer Blut.“ Es war die Pflicht von Priestern und Bischöfen, zu sterben; er hatte nichts übrig für Kragen und fromme Bestürzung ... „Sie sehen den Mann, der uns fährt?“ sagte er. „Es ist der Bruder von Maria de la Luz Camacho, des Mädchens, das in Coyoacin getötet wurde“ (dies ist die Vorstadt, wo Trotzky bei Rivera in der mit Flutlicht beleuchteten Villa lebte).

Es gibt eine Lebensbeschreibung Marias de la Luz — verfaßt in der schlimmsten Tradition unkritischer Pietät. Aus den glühenden Schilderungen dieses Buches tritt einem eine Art Pathos entgegen, das Palhos frommer Vereine, Arbeitsgemeinschaften und Gesellschaftsabende, in denen sich der Widerstand gegen den unerbittlichen Garrida geltend machte. Ich hatte die Folgen von Garridos Arbeit- in Tabasco gesehen. Während er in Mexiko City als Landwirtschaftsminister amtierte, hatte er Ende 1934 einen Angriff auf die Kirche in Coyoacan organisiert. Im Rathaus wurden Revolver an die Rothemdem verteilt; Maria Camacho, die von der Gefahr hörte, begab sich — in ihrem besten Sonntagsstaat — zur Kirche und wartete in der Torhalle auf den Angriff. Ihr Mut machte auch den anderen Mut, und als der Angriff erfolgte, fiel sie als erste. Mit beispielhafter Pietät sammelte Pater Dragon die Berichte über Teeabende und Liebhaberaufführungen; bestehen bleibt jedenfalls die Tatsache, daß in Mexiko den katholischen Vereinen, die wir in England so abschätzig beurteilen, mit ihrem Bänder- und Medaillenwesen und ihren kleinen Zusammenkünften nach der Segensandacht die Weihe des Todes verliehen wurde.

Zurückgelehnt in dem schönen schnellen Wagen, den der Bruder einer Märtyrerin lenkte, sagte der Bischof: „Sie hätten den Bischof von Veracruz kennenlernen sollen. Das ist ein Mann...“ Inmitten der modernen Stadt — zwischen amerikanischen Teeläden, Reklamen für Rasierapparate, mondänen Nachtlokalen — gab es neben mittelalterlicher Gewalttätigkeit diese mittelalterliche Frömmigkeit. Die elektrischen Lichtsignale blinkten auf und erloschen; der Bischof kam auf einen Amtsbruder zu sprechen, einen Bischof, der nun im Spital im Sterben lag — auf seine Mission in Havanna, dem hoffnungslosesten Ort für Missionen in der ganzen katholischen Welt, wo er hartgesottene Racketeers aus Bordellen, Tanzsälen und Kneipen zum Weinen brachte; wie er als anonymer Patient ischiaskrank in einem Spital in Kolumbien lag neben einem Sterbenden, der einen Priester brauchte — „Ich bin Priester“; seine Wohltätigkeit: jede Woche verwendete er in Mexiko City, nachdem er aus seiner Diözese vertrieben worden war, vierhundert Pesos zum Einkauf von Nahrungsmitteln für die Armen. Er pflegte seine Einkäufe in einem Korb zu verstauen und nach einem altersschwachen Taxi Ausschau zu halten, jener Art Taxis, für die sich nur schwer ein Fahrgast fand. Dann feilschte er hartnäckig mit dem Chauffeur um einen möglichst geringen Fuhrlohn, erkundigte sich aber nachher, ob er verheiratet sei und wie viele Kinder er habe, und gab ihm am Ende der Fahrt über den vereinbarten Betrag hinaus einen Peso für seine Frau und je einen weiteren für jedes Kind. Er ließ sich in die ärmsten Stadtteile fahren und suchte die am meisten verwahrlosten Häuser aus, um den Chauffeur mit dem Korb hineinzuschicken. „Gehen Sie da hinein und sagen Sie der Frau, die Ihnen öffnet, Gott sende ihr dies ...“

Aus dem Werk „Gesetzlose Straßen“, mit Bewilligung der Thomas-Morus-Presse, Verlag Herder, Wiea

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