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Professor Sedeas

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Wenig.: Tage, nachdem wir aus dem Lager befreit worden waren, marschierten wir über die Grenze nach Oesterreich. Dort war es auch, wo wir ihn kennenlernten. Müde, verdreckt, mit wächsernen Gesichtern und mit faustgroßen Löchern an Stelle des Magens stolperten wir durch die Nacht. In den gestreiften Lageruniformen, die Schädel kahlgeschoren, mit wuchernden Barten, so schleppten wir uns einem Leben entgegen, das sich von dem, das hinter uns lag, vorerst nur dadurch unterschied, daß keiner erschossen wurde, wenn er aus der Reihe humpelte, und keiner über den Bock gespannt, wenn er, um seine Notdurft zu verrichten, länger brauchte, als ihm gestattet war. Und das einzige, was uns erfüllte, war Haß. Die Bauern verschlossen ihre Türen, und den fremden Soldaten stachen nur Dinge ins Auge, mit denen sie Staat machen konnten. Und da befand er sich plötzlich unter uns. Er war wohlgenährt und auch seine Schuhe sahen aus wie neu. Sie schluckten kein Wasser, wenn er in eine Pfütze damit trat, und kein Geklapper war zu vernehmen, wenn er auf einen Stein stieß. Ihre Sohlen waren nicht aus Holz wie die Sohlen unserer Schuhe. Eine Zeitlang hüpfte er neben Mahr und sprach auf ihn ein. Der aber gab ihm einen Tritt, daß er nach hinten taumelte,-neben Strohmeier und mich. Gestikulierend hüpfte er nun zwischen uns. „Mein Name ist Sedeas“, sagte er und machte eine Art von Verbeugung dazu, „Professor Sedeas.“

„Das heißt doch: Setz dich“, lachte Strohmeier, „wenn mich nicht alles täuscht und ich mich noch recht erinnern kann...“ Eifrig stimmte ihm der Hüpfende zu, und bemerkte nicht einmal, wie trocken und ungeübt das Lachen Strohmeiers klang... Den ganzen Tag über blieb er an unserer Seite, und als es Abend geworden war, setzte er sich an unser Lagerfeuer. Funkelnd, ein riesiges Gewölbe, so stand die Nacht über uns. Kein Laut störte die feierliche Stille. Da erhob sich Professor Sedeas. Schwarz fiel sein Schatten auf Mahr und mich. „Endlich“, sagte er, „endlich müßte doch irgendeiner das Wort ergreifen in dieser verwirrten, blutenden Zeit, hintreten vor die Mächtigen dieser Welt und ihnen eine gute und einprägsame Pedigt halten. Eine Predigt darüber, daß endlich Schluß sein müßte mit allem Haß und aller Unterdrückung und aller Auflehnung gegen das Gute in uns ...“

„Und das viele Blut, das geflossen ist?“ fragte Strohmeier und seine Stimme klang hart, „und die Galgen und die Geiseln, die Stockhiebe, die Bunker, die Gaskammern, die Jahre unserer Unfreiheit, wenn schon nichts anderes, der Hunger, die Striemen...“

„Genug, genug“, unterbrach ihn Professor Sedeas, „genug. Das Blut, die Geiseln, die Galgen, vergeßt es, vergeßt es endlich! Nun liegt das Leben ja wieder vor euch. Da, sehen Sie“, und mit beiden Händen zugleich zeigte er zu dem Sternbild des Großen Wagens empor, „wie erhaben, wie überirdisch schön. Wie sollte euer Haß da nicht schweigen, alle eure kleinen, vielleicht begreiflichen, aber immerhin doch nur allzu menschlichen Gedanken und Begierden. Irgendwann und irgendwo muß doch einmal damit begonnen werden, worauf die ganze Welt wartet, mit der Liebe, mit der Versöhnung... mit dem Vergessen...“ Vor tiefer Ergriffenheit konnte er nur noch schweigen.

Am nächsten Morgen war er verschwunden; es war empfindlich kalt geworden. In der Mühsal eines Wanderns mit erfrorenen Händen und Füßen hatten wir ihn bald vergessen. Aber als wir Wien in der Ferne auftauchen sahen,.. „Möglich“, schluchzte Strohmeier und mußte sich fest auf mich stützen, „möglich sogar, daß das, was der kauzige Setzdich da nächtlich gepredigt hat...“

Nach ein paar Jahren traf ich ihn wieder. Zufällig. Auf dem Stephansplatz lief er an mir vorbei. Er sah gepflegt aus, und der Anzug, den er trug, war von einer soliden Firma geschneidert worden. Eifrig sprang ich ihm nach.

„Ach Sie“, sagte er, als er mich endlich dunkel erkannte. „Schlägt Ihnen an, das neue Leben, wie ich sehe...“ Auf die Frage nach seinem Befinden wurde er böse. Es hatte da etwas gegeben in der Vergangenheit, das ihm verwehrte, für ein paar Jahre wenigstens, seinen Beruf als Professor... „Na ja. Sie wissen schon, was ich meine“, lachte er grimmig. „Aber ich schreibe ein Buch darüber“, begann er plötzlich zu brüllen, „ein Buch, und es soll der ganzen Welt künden, was mir angetan worden ist. Der ganzen Welt, und zum ewigen Gedenken ...“ Kaum daß ich Schritt halten konnte mit ihm. „Die lange Wartezeit, die gesperrte Vor rückung...“

Da fiel es mir wieder ein. „Muß denn nicht endlich einmal damit begonnen werden? Mit der Liebe, mit der Versöhnung... mit dem Vergessen ...“

„Sind Sie wahnsinnig geworden?“ herrschte er mich an, „was fällt Ihnen ein! Vergessen... vergessen...“ Sein Hohngelächter übertönte selbst den mittäglichen Lärm des Stephans-platzcs. „Es ist kein Mark mehr in euch, ihr Kerle“, dröhnte er, „kein Ehrgefühl, kein Feuer, keine Glut! Vergessen, was man mir angetan hat... mir.“ Rasend vor Wut lief er davon

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