7052348-1991_05_20.jpg
Digital In Arbeit

Die Taschenweckeruhr

19451960198020002020

Ich bin ein vergeßlicher Mensch. Deshalb hat mir meine Frau zum Geburtstag eine Taschen Weckeruhr geschenkt.

19451960198020002020

Ich bin ein vergeßlicher Mensch. Deshalb hat mir meine Frau zum Geburtstag eine Taschen Weckeruhr geschenkt.

Werbung
Werbung
Werbung

Als ich das Wort zum ersten Mal hörte, dachte ich, es müsse sich um eine Weckeruhr handeln, die Taschen weckt. Doch dem ist nicht so.

Sie ist ein winziges viereckiges Ding, das man ganz unauffällig in die Tasche stecken kann, man merkt

es gar nicht, daß man es bei sich trägt, man vergißt es gleich wieder, erst die Frau macht einen wieder aufmerksam-darauf, wenn sie die Löcher zunähen muß, die der kleine unauffällige Apparat zuerst in das Futter und später in den Stoff gerissen hat.

Dieses unschätzbare Kleinod mahnt mich mit einem sanften Surren, daß ich, sagen wir, um 14 Uhr 30 jemanden anrufen muß, oder daß ich meine Tabletten nehmen-muß, oder daß ich einfach muß.

Ein Beispiel. Es ist, nehmen wir an, punkt 12 Uhr mittags, wie in dem gleichnamigen Westem, na wie heißt er doch gleich... Da weiß ich, daß ich etwas zu tun habe. Aber was?... Lassen Sie mich einen Moment nachdenken... Ach was, ist ja auch egal.

Manchmal ist sie recht unangenehm, meine Vergeßlichkeit. Etwa, wenn ich mich jemandem vorstellen möchte und mein Name fällt mir vorübergehend nicht ein...

Aber wenn mein Taschenwecker surrt, dann müßte ich eigentlich... Das ist so wie wenn man einen Knoten in sein... Was war's doch, wo man den Knoten hineinmacht, damit man etwas nicht vergißt, und dann erinnert der Knoten daran, was man sich merken wollte. Wenn

man Glück hat.

Meine Frau könnte von meiner Vergeßlichkeit ein Lied singen. Sie vertraute mir an, daß ich in unserer Hochzeitsnacht vergessen haben soll, warum wir zusammengekommen waren. Da wollte sie sich scheiden lassen, was daran scheiterte, daß ich immer vergaß, zu den Terminen beim Anwalt zu erscheinen. Zum Schluß - oder war es noch vorher? - ließ sie es bleiben und blieb.

Zurück zur Gegenwart. Die Tabletten habe ich schon genommen... Es muß also ein Anruf sein. Aber wen zum Donnerwetter soll ich

anrufen?

Es ist ein kluger Apparat, ein bißchen zu hartnäckig für meinen Geschmack, aber klug. Er hört nicht auf zu signalisieren, solange ich ihn nicht abstelle. Aber wie?

Ich bin kein Bastlertyp, aber ein kurz Entschlossener, der bin ich, wenn ich meinen gefaßten Entschluß nicht auf der Stelle wieder vergesse. Ich schleudere dieses Folterwerkzeug gegen die Wand!

So, endlich herrscht Ruhe. Wo bin ich stehen geblieben?...

Ach was, ich bleibe einfach stehen, wo ich war: jemand wird mich schon abholen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung