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„Frei", dafür doppelt teuer

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Findige Politikerköpfe haben zuletzt die Forderung nach einer Lehrlingsfreifahrt erhoben. Nach dem Modell der Schüler-„Frei"-Fahrt. Und zahlen soll dafür wieder einmal der Familienlasten-ausgleichsfonds.

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Findige Politikerköpfe haben zuletzt die Forderung nach einer Lehrlingsfreifahrt erhoben. Nach dem Modell der Schüler-„Frei"-Fahrt. Und zahlen soll dafür wieder einmal der Familienlasten-ausgleichsfonds.

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Zum besseren Verständnis muß man wissen: Die Lehrlingsmonats-streckenkarte ist gegenüber dem Preis für einen Einzelfahrschein um rund 86 Prozent ermäßigt.

Trotzdem: Zur Beurteilung, ob diese Politikerforderungen berechtigt sind, leistet eine Information des Famlien-ministeriums wertvolle Hilfe, die Mitgliedern des Familienpolitischen Beirats kürzlich übermittelt worden ist.

Darin wird einleitend die Einkommenssituation der Lehrlinge dargestellt. Sie erhalten - je nach Lehrjahr und Berufssparte - nach den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen zumindest monatlich zwischen 2.570 und 9.950 Schilling.

Im Unterschied von Einkünften anderer Kinder schließen die Lehrlingsentschädigungen den Bezug der Familienbeihilfe nicht aus, sodaß für die Familie derzeit noch 1.550 Schilling hinzukommen. Berufsschüler erhalten aber (wie alle anderen Schüler auch) für die Zeit des Berufsschulbesuches die Schüler-,,Frei"-Fahrt beziehungsweise eine Schulfahrtbeihilfe, beides aus dem Familienfonds bezahlt.

Kosten des Berufsschulinternats müssen dem Lehrling vom Lehrherrn so ersetzt werden, daß ihm zumindest 25 Prozent, in manchen Branchen sogar 90 Prozent der Lehrlingsentschädigung verbleiben. Wie alle anderen Arbeitnehmer haben die Lehrlinge auch einen Anspruch auf das Pendlerpauschale (zwischen 150 und 1.500 monatlich).

In einzelnen Bundesländern gibt es zusätzlich vom Land Förderungen und Freifahrten für Lehrlinge. Zum Beispiel wird in Kärnten eine Lehrlingsfreifahrt vorbereitet; in Oberösterreich gibt es eine Pendlerbeihilfe und in Großbetrieben (wie VOEST) zusätzlich Zuschüsse; in Niederösterreich erhalten Lehrlinge derGemeinden und des Landes Zuschüsse; Salzburg hat ein „Sozialstipendium", die Steiermark Lehrlingsbeihilfe und Pendlerbeihilfe, Tirol eine Arbeitnehmerförderung, in Vorarlberg bezahlen die Betriebe die Fahrten oder leisten Zuschüsse; in Wien gibt es Lehrlingsausbildungsbeihilfen der Arbeiterkammer sowie für Lehrlinge der Stadt Wien Jahresnetzkarten. Auch andere große Betriebe wie zum Beispiel ÖBB und die Post geben ihren Lehrlingen als freiwillige Sozialleistung Freifahrten. Auf den besonders günstigen Tarif, für den die ÖBB wie für andere Tarifermäßigen aus allgemeinen Budgetmittel Abgeltungen erhalten, wurde bereits hingewiesen.

ÖBB - sogar neunfacher Preis Das Familienministerium stellt zur Tarifsituation fest: „Die Lehrlingsmonatskarte ist preislich besonders günstig; sie kostet nur die Hälfte der bereits ermäßigten Normalstreckenkarte. Wenn der Famlienlastenaus-gleich die Lehrlingsfahrten finanziert, müßte er den ÖBB nahezu das Neunfache (!) der bisherigen Lehrlingskarte bezahlen." Und bei den Kraftfahrlinien hätte der Fonds „bis zu 100 Prozent höhere Fahrpreise zu zahlen" als derzeit. Auch bei den Verkehrsverbünden hätte der Famlienlastenaus-gleich „sofort den (nahezu) doppelten Fahrtkostenaufwand zu tragen."

Das Familienministerium schätzt den Mehraufwand, der für den Familienlastenausgleich durch die Einführung der Lehrlingsfahrt entstehen würde, auf Grund der verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen auf 617 Millionen Schilling.

Kosten nur überwälzen?

In den ministeriellen Unterlagen werden auch verschiedene Schlußfolgerungen gezogen, wobei eine Verbesserung für die Lehrlinge nur sehr bedingt absehbar wäre. „Eine solche Verbesserung tritt jedenfalls nicht ein, soweit die Kosten bestehender Lehrlingsfreifahrten und Begünstigungen lediglich aus den derzeitigen Budgets auf den Famlienlasten-ausgleich überwälzt würden." Der einzig erkennbare Vorteil wäre, daß dem Lehrling das Pendlerpauschale voll verbleiben würde, wenn er, sofern nicht ohnehin jemand anderer die Kosten trägt, damit Geld für die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufwenden muß.

Abschließend ventiliert das Ministerium die Frage, ob eine solche Maßnahme im Interesse der Familien läge.

Dazu heißt es: „Dem mit jährlich 617 Millionen Schilling geschätzten Mehraufwand für den Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen steht keine adäquate Mehrleistung der Verkehrsträgergegenüber. Den Familienlastenausgleich träfe erneut der Vorwurf, Familiengelder mißbräuchlich zur Sanierung der Verkehrsunternehmen zu verwenden". Und dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

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