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Keine Insulaner

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Die Debatte, die in England über den EWG-Beitritt geführt wird, ist zwar noch nicht abgeschlossen, doch das Interesse der britischen Unterrichtsbehörden konzentriert sich nichtsdestoweniger immer stärker auf das Studienobjekt „Kontinental- europa“.

In erster Linie würde man an sämtlichen Schulen mehr Lehrstoff über Kontinentaleuropa — seine Geschichte, Bevölkerung, wirtschaftliche und soziale Entwicklung — bieten. Als Ergänzung plant man einen erheblich verstärkten Sprachunterricht sowie den Austausch von Schülern mit einer Reihe kontinentaleuropäischer Länder.

Das Lernen von Fremdsprachen als ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu intensiveren Kontakten zwischen England und Kontinentaleuropa ist heute längst nicht mehr das Problem, das es noch vor etlichen Jahren war. Die britischen Schulen führen eine erfolgreiche Kampagne gegen die alte insulare Einstellung, daß Fremdsprachenunterricht eigentlich ein Luxus sei, weil man sich ja sowieso darauf verlassen könne, daß die kontinental- europäischen Nachbarn Englisch lernen. Kürzlich vom britischen Unterrichts- und Wissenschaftsministerium veröffentlichte Zahlen zeigen, wie sehr sich das inzwischen gewandelt hat. Von 1961 bis 1969 erhöhte sich die Zahl der Schüler und

Schülerinnen, die bei der Erwerbung des zum Hochschulstudium berechtigenden Advanced Level Französisch als eines der Prüfungsfächer wählten, von 16.230 auf 26.675. Während desselben Zeitraumes stieg die Zahl der „A-Level“-Kandidaten, die sich in Deutsch prüfen ließen, von 4713 auf 7598. Viele dieser jungen Menschen werden als künftige Lehrer oder Führungskräfte der Wirtschaft hinsichtlich der Spezialisierung auf Fremdsprachen einen Einfluß ausüben, der sich auf einen noch erheblich größeren Personenkreis erstreckt.

Die Zahl der sprachinteressierten Schüler und Schülerinnen wächst immer rascher, nicht zuletzt dank der Tatsache, daß heute bereits an vielen britischen Grundschulen (das heißt an Schulen für Fünf- bis Elfjährige) die Anfangsgründe des Französischen als selbstverständlicher Bestandteil des Lehrplans betrachtet werden. James Platt — Direktor des Central Bureau for Educational Visits and Exchanges, einer Schlüsselorganisation zur Förderung der Beziehungen zwischen britischen und ausländischen Schülern und Lehrern — ist der Ansicht, das Interesse am Französischunterricht sei derart gewachsen, daß an den britischen Schulen womöglich schon bald ein Mangel an Lehrkräften für dieses Fach eintreten werde. Die große Nachfrage, so meint er, sei in erster Linie auf Großbritanniens potentiellen Europabeitritt zurückzuführen.

Wenn England den entscheidenden Schritt vollzieht, wird man den Sprachunterricht an Grund- und Sekundarschulen zweifelsohne enger mit anderen den europäischen Kontinent betreffenden Studien verbinden. Auch auf dem Gebiet der höheren Ausbildung nach dem Verlassen der Schule geht der Trend selbstverständlich in diese Richtung. Das North London Polytechnic, ein füh rendes weiterbildendes College, hat bereits dem Gedanken zugestimmt, einen neuen speziell auf den Gemeinsamen Markt zugeschnittenen Lehrgang mit Diplomabschluß einzurichten. Ein Untersuchungsausschuß ist beauftragt worden, rasch alle Einzelheiten auszuarbeiten, und es bestehen die besten Chancen, daß Studenten des College ab Herbst 1973 an dem Lehrgang teilnehmen können. Man wird von ihnen außerdem erwarten, daß sie mindestens eine der wichtigsten EWG-Sprachen — Deutsch, Französisch oder Italienisch — lernen und einen Teil ihrer Studienzeit in einem der kontinentaleuropäischen Länder des Gemeinsamen Marktes absolvieren.

Die Universitäten widmen dem modernen Europa ebenfalls wachsendes Interesse. Eine der jüngsten, die 1961 in Südengland eröffnete Sussex University, hat eine speziell auf den europäischen Kontinent ausgerichtete geisteswissenschaftliche Abteilung. Studien, die an der University of Technology in Bath (Westengland) und an der Surrey University bei London absolviert werden können, dienen gleichfalls dem Zweck, Kenntnisse ülber den wirtschaftlichen und sozialen Hintergrund kontinentaleuropäi’scher Länder zu erwerben und sich mit einer oder mehreren ihrer Sprachen vertraut zu machen.

In der gesamten höheren Ausbildung hat die Zahl der Sprachkurse in einem geradezu erstaunlichen Maß zugenommen. An den Polytechnics sowie den technischen und Handels-Colleges, wo der Lehrplan sowohl Studiengänge, die zum Erwerb eines Diploms führen, als auch Blitzkurse für Geschäftsleute, die ihre Kenntnisse ergänzen wollen, umfaßt, liegt der Akzent auf dem praktischen Gebrauch der Sprache und weniger auf dem rein literarischen Aspekt, aber die Kurse vermitteln zugleich doch sehr gründliche Informationen über die betreffenden kontinental- europäischen Länder selber.

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