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Kanadas „Russische Rebellen“

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Gegensatz zum Rest der Bevölkerung. Besonders die Viehzüchter sind schwer betroffen und nehmen es der Administration übel, daß ihre Forderung nach einem Importverbot nicht erfüllt wurde. Zwar irritiert Kuba weniger als früher, dafür stehen Vietnam und Zypern im Vordergrund. Die Frage wird gestellt, ob Johnson zusieht, wie aus Zypern ein neues Kuba wird, weil es wesentlich mehr Griechisch-Ameri-

kaner als Türkisch-Amerikaner gibt. Schließlich besteht die Gefahr schwerer Rassenkonflikte im Sommer, besonders, wenn die südlichen Senatoren die Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes weiter hinauszögern. Wie in einem früheren Artikel erwähnt, könnte die Reaktion der Weißen auf solche Konflikte der Administration sehr viele Stimmen kosten.

Abschließend kann man sagen,

alles ist noch im Fluß. Goldwaters und Rockefellers Aussichten haben sich stark verschlechtert. Aber es wurde immer erwartet, daß ihr Streit einem tertius gaudens zugutekommen wird. Johnsons Position, auf der anderen Seite, sieht besser aus, als sie ist. Infolge des Gesundheitszustandes des Präsidenten findet die Auswahl des demokratischen Vizepräsidenten größere Beachtung als gewöhnlich.

Nahe der kleinen Stadt Agassiz, in der Küstenprovinz British Columbia, ist das Mountain Prison, ein Gefängnis, das nur für die fanatischen Angehörigen der „Sons of Freedom“ (Söhne der Freiheit), der Douchoborzensekte, bestimmt ist. Der Volksmund hat das Gefängnis „Fultons Folly“ — Fultons Torheit — genannt, nach dem Justizminister, der es erbauen ließ. In dem Mountain Prison sind heute mehr als 100 „Sons of Freedom“ eingekerkert. Sie haben Brandstiftungen und Bombenwürfe am Gewissen und verbüßen hier langjährige Strafen. Als einer der Inhaftierten, nach einem 33 Tage währenden Hungerstreik starb, stand das „Drama von Agassiz“ im Brennpunkt des kanadischen Interesses.

Kaum weniger bizarr als die sinnlosen Terrorakte der Sektenangehörigen ist der Umstand, daß 400

„Sons of Freedom“ das Mountain Prison seit etlichen Monaten „belagern“. Sie haben auf einer Anhöhe etwa 125 Hütten gezimmert und haben erklärt, so lange hier zu verweilen, bis ihre 100 „Brüder“ die

Freiheit erhalten. Führerin der 400 ist „Big Fanny“ (Große Fanny) Stor-goff. Die „Belagerer“ leben in Hörweite des Gefängnisses und stehen mit den Insassen auch mittels Handsignalen in Verbindung...

Söhne und Töchter Adams...

66 Jahre sind vergangen, seitdem 7427 Douchoborzen von Rußland nach Kanada auswanderten. 12.000 von ihnen leben heute in der Provinz British Columbia, deren Küste von den Fluten des Pazifiks bespült wird. Doch bloß 2000 dieser Douchoborzen gehören der radikalen Sekte „Sons of Freedom“ an, und eine Anzahl von ihnen kommt nicht nur wegen ihrer „Nacktmärsche“, sondern wegen Brandstiftungen und Bombenwürfen mit dem Gesetz in Konflikt.

Erkundigt man sich bei den hüb-

schen Douchoborzenmädchen, warum sie sich denn in aller Öffentlichkeit nackt ausgezogen haben, mag man zur Antwort bekommen: „Adam war nackt, ehe er sündigte. Wir haben nicht gesündigt...!“ Fern von Kanadas Westküste — in London — bemerkte Lord Russell philosophisch, doch nicht ganz korrekt: „Rußland wollte sie einst nicht, weil sie sich weigerten, Soldaten zu werden — und Kanada will sie nicht, weil sie nackt demonstrieren ...“

Doch es sind Brandstiftungen und „Dynamiting“ mit bedeutendem

Sachschaden, die den kanadischen Behörden Sorgen machen. In den letzten 40 Jahren haben Terrorakte der „Sons of Freedom“ in Kanada Schäden von mehr als 17,000.000 Dollar verursacht. Wie einst in Rußland, so lehnten sie sich auch in Kanada gegen die Staatsgewalt auf.

Bis heute betrachten Kanadas Douchoborzen Russisch als ihre Muttersprache. Die Anfänge der Sekte gehen auf das 17. Jahrhundert zurück. Ihre Vorfahren entliefen den Landbesitzern und ließen sich an der ukrainischen Grenze nieder. Hier wollten sie nur „Der Stimme Gottes in sich“ — nicht aber dem Staat oder der Griechisch-Ortho-doxen Kirche gehorchen. Da sie sich auch weigerten, Militärdienst zu leisten, waren sie den Peitschen der Kosaken ausgesetzt. Schließlich wurden sie in die abgelegensten Gebiete des Kaukasus deportiert, und damit schien die Sekte aus dem Brennpunkt des Weltinteresses verschwunden zu sein.

Als sie später neuen Verfolgungen ausgesetzt waren, nahmen sich Tolstoi und die Quäker ihrer an. Eine Auswanderung nach Kanada wurde ermöglicht. Die Regierung in Ottawa — bestrebt, den noch so spärlich besiedelten Westen des riesigen Landes zu bevölkern — verhieß den Douchoborzen vor der Jahrhundertwende sogar „ewige Befreiung“ vom Militärdienst.

Doch auch in ihrer neuen Heimat machten die Douchoborzen bald von sich reden. Bedeutende Summen, welche die wohltätigen Quäker zur Verfügung gestellt hatten, damit die

Farmen bewirtschaftet werden konnten, wurden vergeudet. Die Douchoborzen gaben Pferden und Rindern — die sie ihre „Kleinen Geschwister“ nannten — die Freiheit, zerstörten landwirtschaftliche Maschinen und begannen, ihre Frauen vor die Pflüge zu spannen...

Die Protestsiedlung

Im Laufe der Jahrzehnte assimilierte sich die Mehrzahl der Douchoborzen. Nun gelten etwa 18.000 von Kanadas 20.000 Sektenangehörigen als gute Staatsbürger. Anders ist es mit vielen „Söhnen der Freiheit“. In einem Taumel der Selhstvernich-tung setzten sie oft die eigenen Häuser in Brand. Häufig glauben sie sich von den Behörden verfolgt und lehnen sich sodann gegen die Staats-' gewalt auf. Mit „Nacktmärschen“, Bombenwürfen, Sprengungen und Brandstiftungen!

Als sie vor sechs Jahren eine Rückwanderung nach Rußland planten, erklärte sich die kanadische Regierung bereit, 2,000.000 Dollar für ihren Transport zu zahlen — doch es kam nicht dazu. Schon Anno 1906 hatte sich der russische Außenminister Stolypin geweigert, den Douchoborzen die Rückkehr zu gestatten.

„Mountain Prison Gate“ — Tor des Mountain-Gefängnisses — nennen die 400 „Sons of Freedom“, die nun hier leben, ihre „Siedlung“. Die Regierung ignoriert sie; die Heilsarmee verteilt bescheidene Unterstützungen, und der Gemeinderat von Agassiz sieht von drastischen Maßnahmen ab; wohl, um Brandstiftungen und Bombenwürfe zu vermeiden.

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