Anatol Stefanowitsch - © Foto: Bernd Wannenmacher/FU Berlin

Pro Gendern: Männersprache Deutsch

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Sternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte zielen darauf ab, etwas sichtbar zu machen, was vorher unsichtbar war – die Existenz von Menschen, die eben keine Männer sind.

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Sternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte zielen darauf ab, etwas sichtbar zu machen, was vorher unsichtbar war – die Existenz von Menschen, die eben keine Männer sind.

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Am Anfang jeder Debatte über das sogenannte Gendern müssen wir uns die Diagnose vergegenwärtigen, die die Sprachwissenschafterin Luise Pusch vor über 40 Jahren gestellt hat: Das Deutsche ist eine Männersprache. Der Mann wird sprachlich als Normalfall behandelt. Das zeigt die Gebrauchstradition des sogenannten generischen Maskulinums, mit dem wir 99 Zeitung lesende Männer und eine Zeitung lesende Frau gemeinschaftlich als Zeitungsleser bezeichnen. Das zeigt sich an tief in der Grammatik verankerten Strukturen wie dem in Analogie zum männlichen er gebildeten allgemeinen Fragepronomen wer oder dem aus dem Wort Mann abgeleiteten Indefinitpronomen man. Das zeigt sich auch an zentralen Texten unserer Kultur, wenn etwa die Nationalhymne Österreich als „Heimat großer Söhne“ darstellt und das rhythmisch zugegebenermaßen holprige, aber inhaltlich längst überfällige Update auf „Töchter und Söhne“ auch nach fast zehn Jahren noch umstritten ist (siehe dazu auch das FURCHE-Interview mit Anatol Stefanowitsch: „Der Begriff Rasse hat keine positive Bedeutung mehr“).

Markiertheitstheorie

Es ändert auch nichts an dieser Diagnose, wenn man sie, wie es mein Kollege Peter Eisenberg in den letzten Jahren immer wieder versucht hat, mit der „Markiertheitstheorie“ zu erklären versucht. Diese Theorie besagt, dass bei Wortpaaren mit gegensätzlicher Bedeutung immer eins der Wörter „unmarkiert“ sei – was heißen soll, dass es in seiner Bedeutung weniger bestimmt sei und damit als Oberbegriff für das Gegensatzpaar dienen könne. So sei zum Beispiel das Wort Tag unmarkiert in Bezug auf das Merkmal „Helligkeit“ und könne deshalb die Bedeutung „Zeitraum zwischen null und 24 Uhr“ ausdrücken. Erst, wenn man ihm das Wort Nacht (mit der Bedeutung „Zeitraum zwischen Sonnenunter- und -aufgang“) gegenüberstelle, ergebe sich die engere Bedeutung von Tag als „Zeitraum zwischen Sonnenauf- und -untergang“. Auf die gleiche Weise seien maskuline Personenbezeichnungen wie Leser geschlechtsneutral und würden ihre männliche Bedeutung erst durch den Kontrast zur weiblichen Leserin erhalten. Bliebe die Frage, ob es Zufall ist, welches der Wörter eines Gegensatzpaares als „unmarkiert“ betrachtet wird. Das ist offensichtlich nicht der Fall: Es ist immer das Wort, das den Normalfall bezeichnet. So wie der helle Tag die normale Zeit für gesellschaftliche Aktivitäten ist, ist der Mann das normale Subjekt dieser Aktivitäten.

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