Atombombe

Sicherheitsexperte Frank Sauer zu Putins Ankündigung, Atomwaffen in Belarus zu stationieren

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Warum kam es seit 1945 nie zu einem weiteren Kernwaffeneinsatz? Eine Frage, die der Sicherheitspolitik-Experte Frank Sauer jahrelang beforschte. Ein Interview über Angst, Abschreckung, Abwägung – und Atombomben in Belarus.

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Warum kam es seit 1945 nie zu einem weiteren Kernwaffeneinsatz? Eine Frage, die der Sicherheitspolitik-Experte Frank Sauer jahrelang beforschte. Ein Interview über Angst, Abschreckung, Abwägung – und Atombomben in Belarus.

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Auch angesichts seiner erneuten nuklearen Rhetorik nutzt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Drohung nach wie vor mehr als die Tat, sagt Frank Sauer, Militärpolitologe an der Universität der Bundeswehr München. Allerdings fügt Sauer auch das Wort „noch“ hinzu. Denn niemand wisse, wie sich die Situation in der Ukraine für den Despoten im Kreml weiterentwickeln wird. Im Interview erklärt Sauer zudem, welche Staaten damit liebäugeln, sich ebenfalls Atomwaffen zuzulegen – und weshalb nach 1945 nie wieder eine Atombombe gezündet worden ist.

DIE FURCHE: Wladimir Putin hat die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus und damit an der EU-Außengrenze angekündigt. Wie ordnen Sie das ein?
Frank Sauer:
Militärisch macht das keinen Unterschied. Die Vorwarnzeit zu einigen Zielen hat sich vielleicht um einige Minuten reduziert – das ändert aber am großen Ganzen nichts. Schließlich gibt es die russischen Iskander-Systeme in Kaliningrad schon viel länger. Ich ordne das eher als einen weiteren russischen Übergriff auf Belarus ein. Lukaschenkos längst von Putins Gnaden abhängiges Regime hat ohnehin bereits an Souveränität eingebüßt. Bei diesem neuesten Schachzug handelt es sich demzufolge, anders als von Putin insinuiert, weniger um eine russisch-belarussische nukleare Teilhabe nach NATO-Vorbild, also ein kooperatives Arrangement unter Allianzpartnern. Eher ist es eine nukleare Nötigung.
Ob Russland damit womöglich sogar gegen den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag verstößt, kann ich noch nicht abschließend beurteilen. Die technischen Details des Arrangements sind nicht ausreichend bekannt. Doch wir sollten erst mal abwarten, ob und wann da wirklich Waffen verlegt werden, und uns von Putins nuklearen Säbelrasseln, für das er immer wieder neue Formen sucht, insgesamt nicht nervös machen lassen. Ich schätze das Risiko für einen Einsatz nach wie vor als nicht akut ein. Aber es gibt zugleich keine Garantien. Also müssen wir wachsam bleiben und genau beobachten, was Putin sagt und Russland tut.

DIE FURCHE: Einige Ihrer Kollegen behaupten hartnäckig, man könne sich in Sicherheit wiegen; Putin bluffe nur.
Sauer:
Ich verstehe auch nicht, warum sich einige zu dieser Behauptung hinreißen lassen. Das ist unseriös. Aber noch einmal: Besonders besorgt bin auch ich nicht. Zumindest solange sich an der Konstellation Russland-Ukraine nichts drastisch ändert.

DIE FURCHE: Was könnte einen nuklearen Angriff befeuern?
Sauer:
Putin könnte sich und seine Alleinherrschaft existenziell bedroht sehen. Wäre etwa die ukrainische Frühjahrsoffensive erfolgreich – was ich sehr hoffe – und die Streitkräfte würden dann weiter bis in den Südosten vordringen, also mit einem Fuß auf der Krim stehen, und Putin würde zu Hause unter Druck geraten – dann könnte sich das nukleare Risiko noch mal erhöhen. Das ist in Kiew und im Westen bekannt. Also: Solange wir nicht in diese hypothetische Situation kommen, ist für Putin die Drohung nützlicher als die Tat.

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