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Wettstreit der Chöre in Arezzo

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Während der vier Tage des Concorso Poli-f o n i c 0 stand das an historischen Erinnerungen so reiche Arezzo, das in seiner Anlage und seinen Bauten noch viel von mittelalterlichem Charakter bewahrt hat, ganz im Zeichen des Gesanges. Von den Morgenstunden bis nach Mitternacht war das Petrarca-Theater, wo die 32 Chöre des diesjährigen Wettbewerbes ihre Kunst zu Gehör brachten, von einer unermüdlichen Zuhörermenge erfüllt, die den Darbietungen folgte. Der Wettbewerb stellt an die Chöre außerordentlich hohe technische^ und künstlerische Anforderungen. Sie haben ein Pflichtprogramm des Gregorianischen Chorals und alter Meister zu absolvieren und ihr Können dann im freien Wettbewerb zu zeigen, wobei Volks- und Kunstlieder aller Epochen bis zu modernsten Kompositionen ein überaus vielseitiges Programm bildeten. Hierbei zeigte sich, daß der Chorgesang sowohl in Italien als auch in den anderen europäischen Ländern als eine der schönsten musikalischen Ausdrucksformen immer noch die erstaunlichste Vitalität besitzt. Die acht bisherigen Chorwettbewerbe in Arezzo sind ein lebendiger Beweis dafür, daß in allen Ländern, wo echte, innige Freude am gemeinsamen Singen lebt, nicht nur hervorragende Leistungen künstlerischer Art in unablässiger, zielstrebiger Arbeit hervorgebracht werden, sondern daß sich auch den Chorkompositionen immer wieder neue Gebiete erschließen, so daß der polyphone Gesang keineswegs auf einem überholten Niveau stehenblieb, sondern sich in bunter Vielseitigkeit unerschöpflich reich weiterentwickelte.

Der Sängerkrieg in Arezzo brachte bisher in jedem Jahre neue Überraschungen. Die verschiedenartige Interpretation des gregorianischen Gesanges, der alten Motetten und Madrigale läßt erkennen, daß selbst diese frühen Formen der klassischen Polyphonie nicht an starre, leblose Formeln gebunden sind. Den eigenen Auffassungen und dem Temperament der Sänger und ihrer Dirigenten bleibt vielmehr ein weiter Spielraum offen. Welche Unterschiede in der Wiedergabe offenbarten sich etwa aus der Gegenüberstellung der ausgezeichneten Scuola Corale von Anghiari bei Arezzo, mit den untadelig singenden Kaufbeurer Martinsfinken aus Süddeutschland oder dem Madrigalchor St. Veit aus Wien! Und wie überaus reizvoll war es, Palestrina oder Orazio Vecchi sowohl von den disziplinierten und geschulten Stimmen des Monte verdi-Chors des Italienischen Instituts in Hamburg als auch von den urwüchsigen kraftvollen Naturorganen des Bergleutechors ?anta Barbara aus der Maremma-landschaft von Msssa Marittima, und daneben die romantisierenden Weisen eines Lechthalet von den St.-Veiter Sängern, die strengen Rhythmen der Catulli Carmina von Carl Orff in der melodischen Stimmführung der Societä Corale Guido Monaco aus Arezzo oder den herrlichen harmonisch-fließenden Stil der von der Psalette d'Orleans übetwältigend schön vorgetragenen klassischen Gesänge zu hören. -

Dieser Chorwettbewerb in Arezzo enthüllte, daß sich die Liebhaberchöre nirgends mehr auf eine einzige Art von Chorkompositionen beschränken. Darin mag eine ganz besonders positive Feststellung zu sehen sein. Wohl sind sehr viele Kompositionen von volkstümlichen Elementen bestimmt, aber der heutige Chorgesang zeigt, daß er weder in klassischen Formen steckenblieb, noch in einem überwundenen Liedertafelstil veraltete. Die heutige Chormusik verschließt sich nicht neuen Klangformen und Rhythmen und geht mit epischen Chorwerken oft sehr eigenartige Wege

Die Sänger aus Orleans, aus Montreux, Hamburg, Kaufbeuren, Triest oder Sassari, um nur einige aus der Vielzahl herauszugreifen, sind lebendige Beweise dafür, daß der Chorgesang selbst in unserer heutigen, so amusischen Zeit in einer schwunghaften Aufwärtsbewegung begriffen ist. An die ausgezeichneten Leistungen des Madrigalchors St. Veit (Dirigent Xaver Meyer) reihte sich aus Österreich auch der Jugendkammerchor Wachau aus Krems an der Donau (Dirigent Wilhelm Wolter) mit seinen ausdrucksvoll vorgetragenen Kompositionen.

Von den Chören der ersten Kategorie errang die Psalette d'Orleans den 1. Preis von 300.000 Lire der Stadt Arezzo. Den 2. Preis erhielt der Monteverdi-Chor des Italienischen Instituts in Hamburg unter der Stabführung von Jürgen Jürgens. Die Kaufbeurer Martinsfinken wurden mit dem 1. Preis der dritten Kategorie und dem 3. Preis der ersten Kategorie ausgezeichnet. In der zweiten Kategorie trug der Palestrina-Chor aus Camin (Padua) den 1. Preis davon, während an die zweite Stelle der Coro S a n t i a-g u i n aus Sama de Langreo (Spanien) und an die dritte Stelle die Chorvereinigung P. Marine 11 i aus Crema (Cremona) folgten. Den 2. Platz in der dritten Kategorie belegte der Städtische Chor aus Lamia (Griechenland), den 3. Platz der Jugendkammerchor Wachau aus Krems an der Donau. Aus dem Wettsingen im Gregorianischen Choral gingen die Chorvereinigung Santa Cecilia in Sassari (Sardinien) und die Chorvereinigung aus Anghiari bei Arezzo als Sieger hervor.

Die in einer Kirche Arezzos unter der Leitung von Luigi Colacicchi aufgeführte Missa brevis in D-dur von Benjamin Britten ließ kalt und brachte trotz ihrer sorgfältigen Interpretation eine Enttäuschung.

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