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Geheimnisse der Küche

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Vom haubengekrönten Spitzenwerk der Kochkunst bis zum restlge-spickten Abwaschwasser hängt der Suppe ja jeglicher Buf nach. Hausfrauen wie Wirtshausköche dürften zu diesem zwiespältigen Ansehen ihre Scherflein beigetragen haben, dennoch behauptet sich die in größenwahnsinnigen Speisekarten als Con-somme oder Bouillon angepriesene Brühe mit einer gewissen Berechtigung unausrottbar als Vorspeise heimischer Menüs, wogegen kein Wort zu sagen wäre.

Das Haar jedoch, das sich in letzter Zeit immer häufiger nicht so sehr in ihr, als vielmehr auf den gastronomischen Ankündigungstafeln findet, liegt in einer unbegreiflichen, fast schon zur Tradition ausartenden Bezeichnung, die man dieser Speise seitens ihrer Urheber zuteil werden läßt. Ich habe es, das muß ich eingestehen, auch nicht sofort bemerkt, was da vor sich geht. Man ist ja des öfteren unkritisch, einfach deshalb, um nicht ständig als Nörgler dazustehen, oder aber auch, weil man einem bestimmten Berufsstande, im konkreten Fall den Wirten, mit einem gewissen Wohlwollen gegenübersteht. Schließlich tun sie, wenngleich dieses mitunter recht relativ ausfällt, ihr Bestes, um unsereins zu nähren und diesem Bestreben, worauf es doch nicht zuletzt ankommt, ein Maß an Lust beizumengen, der Mensch lebt nicht von Kalorien allein, der Geschmack sollte ein gerüttelt Maß Anteil haben.

Also las ich einige Zeit, es dürften sogar Jahre daraus geworden sein, über die Tc gessuppe hinweg. Zwar registrierte ich sie, fragte im Fall des Interesses auch nach ihrem konkreten Namen, doch erst in den letzten Wochen stößt sie mir, und dies ist fürs erste nur ein Bild, auf.

Die Tagessuppe erscheint nämlich nicht etwa nur auf starr vorgedruckten, für die ganze Woche, ja mitunter für das Leben manches Bestaurants geltenden Speisevorschlägen. Mitnichten. Sie ziert seit langem auch die frisch an den Bandstein der Wirtschaft gelehnte und aktuell hingeschriebenen Tafeln, scheint auf Menükarten auf, die das Datum des Tages tragen, und werden auf Anfrage sogar vom Kellner als solche aufgezählt.

Tagessuppe scheint somit zum Begriff geworden zu sein, der dem Gast vom Wirten zugemutet werden darf, und hier endet mein Verständnis.

59 Schilling kostet in Anlehnung an die beliebten Supermarktpreise ein Werktagsmenü im Beisel jener Straße, die ich allmittäglich frequentiere, und oberhalb des groß angeschriebenen Preises, der auch schon vor unserem EU-Beitritt ein äußerst wohlfeiles Mittagessen anpries, steht täglich die Speisenfolge. Beuschel mit Knödel, Nußschnitte etwa. Oder Augsburger mit Gröste, die neue Orthographie vorwegnehmend, Sacher-torte. Gebackener Fisch, freitags zumeist und hier allerdings den genauen Namen des Opfers verschweigend, Kabeljau wird's halt sein, Apfelkompott. Und nie steht da zu lesen: Ta-geshauptspeise, Tagesdessert. Das käme ja auch allen allzu albern vor. Und uninformativ. Aber jeden Tag: Tagessuppe. Dabei bin ich sicher, daß der Wirt weiß, was er seinen Kunden vorzusetzen imstande ist. Selbst wenn es das schlimmste G'schlader wäre, ihm einen Namen zu geben, ist nicht schwer. Und auf Anfrage sagt er ihn ja auch: Leberknödel, Nudel, Fritat-ten, Erdäpfel, Bollgerstl, Kürbiscreme, Backerbsen, Gulasch, ja sogar Serbische Bohnen. Aber es steht nicht da. Vielleicht aber ist es der Versuch, diesem Einerlei unserer Tage einen kleinen Funken von Geheimnis und Überraschung zu verleihen. Wenn dies der tiefere Sinn der Tagessuppe sein sollte, dann, aber nur dann, lebe sie hoch.

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