helnwein - © APA/AFP/Alex HALADA

Von Golgota bis Helnwein: Es rottet sich zusammen

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Warum die Passionserzählungen auch politische Botschaften in Bezug auf die Aufhetzung von Massen transportieren. Und was das mit einer abgebrochenen Installation im Wiener Stephansdom zu tun hat.

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Warum die Passionserzählungen auch politische Botschaften in Bezug auf die Aufhetzung von Massen transportieren. Und was das mit einer abgebrochenen Installation im Wiener Stephansdom zu tun hat.

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Wenn dieser Tage in den christlichen Liturgien landauf landab die Hinrichtung Jesu am Kreuz erinnert wird, ist selten von den politischen Implikationen die Rede, die in den Berichten der Evangelien auch enthalten sind: Eine aufgehetzte Menge forderte den Kopf Jesu. Dass die Christen über Jahrhunderte diese Menge mit „den Juden“ identifizierten und so Antisemitismus legitimierten, der bis heute sein Unwesen treibt, ist eine dunkle Seite der Religionsgeschichte. Die Manipulierbarkeit der Masse – die Passionsgeschichte kann da doch als Parabel herhalten – ist aber ein Menschheitsproblem, das vor 2000 Jahren ebenso virulent war wie heute. Und sie ist ein gefährliches politisches Phänomen, weil sie den gesellschaftlichen Frieden – damals wie heute – bedroht.

Natürlich sind die massenpsychologischen Formen im Zeitalter der Digitalisierung andere als in der Antike. Aber auch in den sozialen Medien ist eine global vernetzte Schar schnell mit einem „Kreuzige ihn!“ zur Stelle, die Anonymität der Menge ist gegeben – ob es sich um den realen Aufruhr vor dem Palast des römischen Statthalters handelt oder um virtuelle Zusammenrottungen, wo jeder verbale Unrat wider nicht Gleichgesinnte verbreitet werden kann.

Recht und Gerechtigkeit, aber auch Demokratie sind so in Gefahr. Das ist evident. Was Elias Canetti Jahrhunderte später in „Masse und Macht“ analysierte, findet sich im Populismus wieder, der zurzeit vielerorts grassiert. Dieser setzt auch auf die Verführbarkeit von Massen und kanalisiert Unzufriedenheit vermehrt in virtuellen Aufruhr, der nicht minder bedrohlich ist.

Es mag da nur ein kirchliches Lüfterl sein, was sich dieser Tage rund um eine Kunstinstallation im Wiener Stephansdom abspielte: Dort hängt eine Fastentuchinstallation des kontroversiell diskutierten Künstlers Gottfried Helnwein – unter anderem mit einem umgedrehten Kopf des Turiner Grabtuchs. Das ab Karsamstag geplante Ostertuch Helnweins (auf dem ein Kind mit den Wundmalen Christi abgebildet ist) sowie ein für Pfingsten gedachtes Abschlussbild werden nicht aufgehängt: Das Domkapitel von St. Stephan hatte im letzten Moment kalte Füße bekommen.

Kampagne statt Kunst-Kontroverse

Die Ereignisse markieren kaum eine Kontroverse um Kunst und Kirche, sondern sind das Ergebnis einer auf rechten Plattformen ausgespielten Kampagne. Insbesondere eine Petition der einschlägigen Plattform CitizenGO tat sich hervor, die die „satanische Bildsprache“ Helnweins brandmarkte sowie rund 8000 Unterschriften dagegen ins Treffen führte. Schon 2023 hatte sie die Abhängung eines Fastentuchs in Innsbruck erreicht, auf dem ein Schweineherz prangte.

Das rechte Eifern gegen das Stephansdom-Fastentuch ist ein – letztlich erfolgreiches – Unterfangen, mittels „Volkszorn“ ideologischen Positionen gegen einen behaupteten „Satanismus“ zum Durchbruch zu verhelfen. Solcher Populismus verhindert auch die gewiss nötige Auseinandersetzung zwischen Kunst und Glauben.

Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück versuchte eine kritische Bewertung der Arbeit – um den Preis, ins Fahrwasser angesprochener Ideologien zu geraten: „Die Allianz zwischen Kirche und Gegenwartskunst ist hier ein elitäres Projekt der Wenigen, bei dem das Votum der Vielen nicht gefragt ist“, so Tücks Verdikt auf communio.de. Solche Argumentation ist nicht hilfreich, weil sie populistisch vereinnahmt werden kann.

Zuletzt hatte – auch auf communio.de – Guido Schlimbach von der renommierten kirchlichen Kunststation St. Peter in Köln die Wiener Installation aus künstlerisch-theologischem Blickwinkel kritisiert. Das ist etwas anderes, als mit einem wie immer gearteten „Volksempfinden“ das Feld zwischen Kunst und Kirche neu zu belasten.

Das Skandalerl um St. Stephan wurde für alle Beteiligten eine Lose-Lose-Situation. Vielleicht ein Anlass, gerade im Blick auf den Karfreitag zur Besinnung zu kommen. Und statt realer oder virtueller Zusammenrottung auf Dialog zu setzen.

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