Niederlande - © Fotos: Hoogheemraadschap Hollands Noorderkwartier

Amsterdams Angst vor dem Untergang

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Als das sicherste Delta der Welt – so sehen die Niederlande sich selbst. Doch was, wenn das Meer so schnell steigt, dass selbst der beste Küstenschutz nicht mehr ausreicht? Bestandsaufnahmen zwischen Alarm und Routine.

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Als das sicherste Delta der Welt – so sehen die Niederlande sich selbst. Doch was, wenn das Meer so schnell steigt, dass selbst der beste Küstenschutz nicht mehr ausreicht? Bestandsaufnahmen zwischen Alarm und Routine.

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Am 20. Juni steht auf der Tagesordnung des Amsterdamer Stadtrats eine bemerkenswerte Abstimmung: Abgeordnete haben einen Antrag eingereicht, wonach die Hauptstadt eine „klimatische und ökologische Krise“ ausrufen soll. „Der Klimawandel bedroht Pflanzen- und Tierarten auf der ganzen Welt mit Aussterben und bedeutet heute schon das Ende der Leben und Lebensweise vieler Menschen“, heißt es in der Begründung. Der Stadtrat nimmt den Antrag an. Amsterdam wird die erste niederländische
Kommune, die diesen Schritt geht. Wenige Tage zuvor halten Aktivisten der internationalen Bewegung Extinction Rebellion einen Trauerzug für zukünftige Opfer des Klimawandels in der Stadt ab.

Symbolisch fahren sie einen Sarg per Boot durch die Grachten, um ihn schließlich vor dem Stadthaus an der Amstel abzuladen. Es ist ein drastischer Kontrast: hier buntes Treiben von Rundfahrten und Touristen, die sorglos durch einen warmen Sonntagnachmittag flanieren, dort die stille Demonstration geschminkter Begräbnisgäste, trauernd um „das Vergehen der Stadt Amsterdam“. Die prekäre Lage der Hauptstadt ist symbolisch für das ganze Land. Dass die Niederlande, deren Gebiet zu einem Drittel unter Normal-Null liegt, überschwemmt werden könnten, nun ja: müssen, wenn der Meeresspiegel stark steigt, steht außer Frage. Doch hat diese Tatsache, verbunden mit der traumatischen Flutkatastrophe von 1953, ein unvergleichliches Niveau an Expertise hervorgebracht und die hiesigen Wasser-Ingenieure gelten im globalen Vergleich als Maß der Dinge. Wie reagiert man hier auf die unheilvollen Berichte immer schneller steigender Weltmeere?

Die Antwort ist leicht ersichtlich: mit aufgerollten Ärmeln und großen Unterhalt-Projekten. Küstenschutz in den Niederlanden ist ein ewiges Projekt. Am deutlichsten zeigt sich dies derzeit am Afsluitdijk (Abschlussdeich). Der 32 Kilometer lange Damm zwischen den Provinzen Nord-Holland und Friesland ist ein geradezu ikonisches Bauwerk, das sogar aus dem All erkennbar ist. Erbaut zwischen 1927 und 1932, trennte er die zuvor tief ins Land einschneidende Zuiderzee von der Nordsee ab und machte daraus das bei Segeltouristen beliebte IJsselmeer.

Renovierung nach strengen Normen

85 Jahre nach seiner Eröffnung ist der Abschlussdeich eine Baustelle. Bis 2022 lässt die Wasserbehörde Rijkswaterstaat ihn renovieren. Eine neue Außenverkleidung, je zwei Sielschleusen und Pumpwerke, um Wasser aus dem IJssel- ins Wattenmeer ablassen oder pumpen zu können. Programm-Manager Joost van de Beek erklärt bei einem Ortsbesuch: „Die Renovierung hat drei Gründe. Das Alter des Deichs, das Steigen des Meeresspiegels und unsere Sicherheitsnormen: Als er gebaut wurde, gab es noch keine. Jetzt werden sie immer strenger.“ In seinem Büro wirft Manager van de Beek in einer Präsentation die Details an die Wand: Der Damm wird um zwei Meter erhöht, mit Sand verbreitert und mit Steinen abgesichert. 75.000 eigens entworfene Betonbrocken, rund anderthalb Meter hoch und je sechseinhalb Tonnen schwer, bilden den Sockel der neuen Außenverkleidung.

Durch einen inneren Hohlraum kann Wasser, das die Steine überspült, nach unten wegströmen. „Damit arbeiten wir seiner natürlichen Neigung entgegen, Dinge hochzutreiben.“ Im oberen Teil des Deichs sollen andere Betonelemente, bestehend aus vier aneinandergegossenen Teilen, die Außenverkleidung bilden. Der Zwischenraum ist gerippt, um die Macht der Wellen zu brechen. „Bei einem Supersturm käme das Wasser bis hierher“ – Joost van de Beek weist auf die halbe Höhe des Deich-Modells. „Wäre diese Fläche glatt, würde das Meer darüber hinwegschlagen.“ Die Animationen zeigen, welche Register in diesem Land gezogen werden, um das Wasser hinter den Deichen zu halten. „Wir sind diese Umstände seit Jahrhunderten gewohnt. Und alle zwölf Jahre werden die Deiche gesetzlich überprüft“, so van de Beek.

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