Staudamm - © Gioia Forster / dpa / picturedesk.com

Wasserkraft um jeden Preis?

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GASTKOMMENTAR. Ist Wasserkraft die „saubere ­Energie“, als die sie gemeinhin gilt? Es ist kompliziert.

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GASTKOMMENTAR. Ist Wasserkraft die „saubere ­Energie“, als die sie gemeinhin gilt? Es ist kompliziert.

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Der „Grand Ethiopian Renaissance“-Damm am Blauen Nil, das größte Wasserkraftwerk in Afrika, steht knapp vor der Fertigstellung. Mit 6000 Megawatt entspricht seine Leistung jener von 30 Donaukraftwerken. In Laos, entlang des Mekong-Flusses, wird gerade die umstrittene Xayaburi Talsperre gebaut – eine von zahllosen Anlagen in der Region. Allein am Mekong sind 60 Millionen Menschen, deren Ernährungsgrundlage der bislang reiche Fischfang bildet, massiv vom Kraftwerksbau betroffen.
Dies sind nur einige Beispiele für die insgesamt mehr als 3700 mittleren und gro­ßen Wasserkraftanlagen, die weltweit in Planung oder im Bau sind. Die Wasserkraft boomt wie nie zuvor und gilt landläufig als „saubere Energie“. Kann sie einen wichtigen Beitrag zur globalen Energiesicherheit liefern? Trägt sie zur Lösung der Klimakrise bei?

Zerschnittene Flüsse

Die Wasserkraft liefert nur 16 Prozent der globalen Elektrizität. Auch bei einer Verdoppelung der Gesamtleistung bis 2050 wird sich ihr Anteil nur auf etwa 20 Prozent erhöhen, da der Energieverbrauch im gleichen Maße ansteigt. Den globalen Kraftwerksbau treiben in erster Linie internationale Investoren voran. Dieser Strom wird für den Export, den Bergbau und die Industrie produziert. Daher werden die bis zu 1,2 Milliarden Menschen, die derzeit keinen Zugang zu Elektrizität haben, kaum von diesem Boom profitieren.
Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare, aber de facto keine besonders umweltfreundliche oder klimaneutrale Energiequelle. Im Vergleich ist die Umweltbilanz der Wasserkraft deutlich schlechter als jene von Wind- und Sonnenenergie. So emittieren Stauseen, insbesondere in den Tropen und Subtropen, wo die meisten künftigen Anlagen entstehen werden, große Mengen an Treibhausgasen – teils sogar mehr als Kohlekraftwerke.

Zugleich sind vom unkontrollierten Ausbau der Wasserkraft die ökologisch wertvollsten Gebiete entlang der noch frei fließenden Flüsse in Afrika, im Amazonasgebiet, in Südostasien, aber auch am Balkan bedroht. Kraftwerke zerschneiden die Flüsse, ändern deren Abfluss-, Temperatur- und Sedimentregime und gefährden somit die immense biologische Vielfalt, die natürliche Gewässer auszeichnet. So beherbergen der Amazonas, der Kongo und der Mekong insgesamt mehr als 5000 Süßwasserfischarten, ein Drittel aller bekannten Arten weltweit. Diese einmalige biologische Vielfalt ist jetzt massiv gefährdet.

Natürliche Gewässer bilden das biologische und kulturelle Rückgrat unserer Landschaften. Sie versorgen uns mit sauberem Trinkwasser, speisen den Grundwasserkörper und besitzen einen hohen Erholungswert. Umso alarmierender daher die Tatsache, dass die Gewässer zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen der Erde zählen. Die Artenvielfalt in Flüssen und Seen nimmt um ein Mehrfaches stärker ab als im Meer oder am Land. So sind zum Beispiel 24 der 26 Störarten bereits als gefährdet oder vom Aussterben bedroht eingestuft. Daher müssen wir alles daransetzen, um die letzten frei fließenden Bäche und Flüsse weltweit – aber auch in Österreich – zu erhalten.

Tu felix Austria?

Wie sieht es nun in Österreich aus? Zwei Drittel der Elektrizität kommen aus der Wasserkraft. Von den bundesweit 2900 Anlagen, die Strom ins öffentliche Netz einspeisen, sind jedoch 84 Prozent Klein- und Kleinstanlagen, mit einer Leistung von jeweils unter einem Megawatt. Diese liefern insgesamt nur 4,6 Prozent der gesamten Stromerzeugung – etwa die Leistung des Donaukraftwerks Altenwörth.

Aktuell sind in Österreich nur noch 15 Prozent der Fließgewässer ökologisch intakt, rund 60 Prozent sind sanierungsbedürftig. Dennoch werden weiterhin viele der verbliebenen naturnahen Bäche verbaut. Zwei Drittel der derzeit in Planung und im Bau befindlichen Wasserkraftanlagen liegen in Schutzgebieten oder Gewässerabschnitten, die noch in einem sehr guten oder guten ökologischen Zustand sind. In der Steiermark sind etwa die Schwarze Sulm oder der Rantenbach davon betroffen – trotz Europäischer Wasserrahmenrichtlinie, die eigentlich die Erreichung des guten ökologischen Zustands als verbindliches Ziel bis spätestens 2027 formuliert.
Eine Zwischenbilanz zeigt, dass dieses Ziel weit verfehlt wird. Viel zu zögerlich und kleinräumig bleiben die notwendigen Maßnahmen. Bei Zielkonflikten, etwa mit dem Energie- oder Landwirtschaftssektor, wird der Gewässerschutz immer wieder grob vernachlässigt. Das zeigt sich besonders deutlich beim massiven Ausbau von Kleinkraftwerken, die kaum zur Energiesicherung beitragen, aber überproportional viele natürliche Ressourcen in Form von frei fließenden Gewässerabschnitten verbrauchen. Trotzdem werden diese mit Steuermitteln subventioniert. Die Genehmigungsverfahren sind einfach – viel zu einfach. Dabei sind, so paradox das klingen mag, die ökologischen Folgen pro erzeugtem Megawatt deutlich höher als bei großen Anlagen.

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