Prof. Anton Zeilinger - © Foto: ÖAW/Sepp Dreissinger

Anton Zeilinger: „Die Welt ist nicht nur materiell“

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Anton Zeilinger ist Österreichs populärster Quantenphysiker. Ein Gespräch über Forschungspolitik und Digitalisierung, den chinesischen Weg sowie die Beziehung von Religion und Wissenschaft.

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Anton Zeilinger ist Österreichs populärster Quantenphysiker. Ein Gespräch über Forschungspolitik und Digitalisierung, den chinesischen Weg sowie die Beziehung von Religion und Wissenschaft.

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Die Welt der Quantenphysik ist für Außenstehende schwer zu fassen. Mit seinen Aufsehen erregenden Experimenten ist es Anton Zeilinger gelungen, die Eigenheiten und Potenziale dieser Welt auch einem breiteren Publikum vor Augen zu führen. Der heute 75-Jährige ist emeritierter Professor an der Universität Wien und seit 2013 Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), wo er 2003 das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation mitbegründet hat. Die FURCHE hat Österreichs bekanntesten Quantenforscher im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder zum Gespräch gebeten ("Wir beamen quer durch Wien", 1999; "Zufall ist faszinierend", 2004; "Die Technik ist schon sehr weit fortgeschritten", 2008). Das aktuelle Interview, das Corona-bedingt über Video-Schaltung stattfand, unternimmt einen weiten Streifzug, der diesmal auch über das Feld der Naturwissenschaft hinausführt.

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DIE FURCHE: In Ihrem Forschungsbereich wurden in der letzten Zeit bahnbrechende Fortschritte erzielt. Wo sehen Sie die großen Meilensteine?
Anton Zeilinger: Seit ihrer Begründung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war die Quantenphysik sehr erfolgreich: Ohne sie gäbe es keine Halbleiter, Laser, Computer oder CD-Spieler. Dass für einzelne Quantenteilchen theoretische Vorhersagen gemacht wurden, die dem gesunden Menschenverstand völlig zuwiderlaufen, haben bereits Größen wie Albert Einstein, Erwin Schrödinger oder Werner Heisenberg diskutiert. Doch das blieben reine Gedankenspielereien. Konkrete Experimente mit Quantenteilchen wurden erst durch den technischen Fortschritt ab den 1970er Jahren möglich. Durch die Initiative meines Lehrers Helmut Rauch haben wir in Wien von Anfang an mitgemacht. Und zu aller Überraschung hat diese Forschung seit den 1990er Jahren das Tor zu einer neuen Technologie eröffnet.

DIE FURCHE: Sie selbst haben in diesem Bereich wegweisende Experimente realisiert: zum Beispiel die erste Quantenteleportation, umgangssprachlich oft als „Beamen“ bezeichnet, oder das erste interkontinentale Quantentelefonat zwischen Wien und Peking. Was war für Sie rückblickend am wichtigsten?
Zeilinger: Insbesondere die Arbeiten zur Verschränkung mehrerer Teilchen (Anm.: So wurde der GHZ-Zustand, eine spezielle Verschränkung von drei Teilchen, nach den Physikern Daniel Greenberger, Michael Horne und Anton Zeilinger benannt). Mit Experimenten in der Wiener Hofburg und auf den Kanarischen Inseln ist es später gelungen, die Verknüpfung von zwei Lichtteilchen vollständig nachzuweisen. Albert Einstein hat sie in seiner Theorie als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnet. Damit wurde ein wichtiges neues Forschungsgebiet eröffnet, das etwa für die Entwicklung von Quantencomputern grundlegend ist. Das halte ich sowohl theoretisch als auch experimentell für meinen wichtigsten Beitrag.

Es ist nicht unrealistisch, dass in den nächsten zehn Jahren der erste Quantencomputer einen herkömmlichen Rechner übertrifft.

DIE FURCHE: Eine rezente Studie Ihrer Forschungsgruppe hat über eine neue Methode berichtet, mit der sich hochdimensional verschränkte Photonenpaare, also Lichtteilchen, herstellen lassen. Wie würden Sie einem Laien erklären, was da vor sich geht?
Zeilinger: Verschränkte Teilchen lassen sich über zwei Würfel erklären: Man wirft sie, und immer zeigen sie die gleiche Zahl. Doch es handelt sich bei jedem Wurf um einen vollkommen zufälligen Prozess. Die Würfel zeigen haargenau das gleiche Ergebnis, ohne dass es dahinter eine verborgene Ursache gibt. Man spricht von zweidimensionaler Verschränkung, wenn nur zwei Resultate möglich sind. Das heißt die Würfel sind so gebaut, dass sie beispielsweise nur eine Eins oder Sechs anzeigen können. Bei dreidimensionaler Verschränkung werden drei Resultate gezeigt usw. Haben die Würfel wie üblich sechs Optionen, sind sie also sechsdimensional verschränkt. Höherdimensional verschränkte Teilchensysteme haben den Vorteil, dass sie mehr Information übertragen können. Für die Quantenkommunikation bedeuten höherdimensional verschränkte Systeme auch mehr Sicherheit.

DIE FURCHE: Ein Abhörversuch würde den Gesamtzustand des Systems verändern, und das würde man bemerken?
Zeilinger: Das ist die Grundidee: Man beobachtet die Quantenteilchen, und diese sind so empfindlich, dass jede externe Beobachtung sie stören würde. Das würde man sofort sehen, garantiert durch die Heisenberg'sche Unschärferelation.

DIE FURCHE: Vonseiten der Anwender ist Abhörsicherheit natürlich wünschenswert. Wenn man aber etwa an die Terrorbekämpfung denkt, dann gibt es Informationen, die man gern mitlauschen will. Ist die Entwicklung abhörsicherer Kommunikation nicht höchst ambivalent?
Zeilinger: Das gilt bei allen technischen Entwicklungen. Es gibt keine einzige Erfindung der Menschheit, die nicht missbraucht wird – bis hin zu Philosophien oder Religionen. Das ist eben eine grundlegende Spannung, mit der wir leben müssen. Ich meine, dass Information weitaus öffentlicher sein sollte als sie heute ist. Aber das ist wohl eine naive Hoffnung.

Anton Zeilinger im FURCHE Podcast

DIE FURCHE: In einem FURCHE-Interview von 2008 haben Sie prognostiziert, dass der Quantencomputer noch in den 2020er Jahren Realität werden könnte. Sehen Sie das heute noch immer so?
Zeilinger: Die ersten kleinen Quantencomputer gibt es ja schon, allerdings nur für Nischenanwendungen. Sie benötigen zwar weniger Rechenschritte als ein herkömmlicher Computer, trotzdem ist dieser noch viel schneller. Es ist nicht unrealistisch, dass in den nächsten zehn Jahren der erste Quantencomputer einen herkömmlichen Rechner übertrifft. Aber bis so ein Modell tatsächlich in unseren Alltag einzieht, fließt wohl noch viel mehr Wasser die Donau hinunter. Denken Sie nur an die bisherige Geschichte der Computer: Den ersten großen Entwicklungsschritt gab es Ende des Zweiten Weltkriegs. Bis die Geräte im Alltag aufgetaucht sind, hat es bis in die 1990er Jahre gedauert. In Hinblick auf die Quantencomputer glaube ich nicht, dass ich das noch erleben werde.

DIE FURCHE: Neuartige Computer könnten ein weiterer Eckpfeiler der Digitalisierung sein. Sind wir auf dem Weg in eine voll automatisierte Gesellschaft, wie manche Vordenker meinen?
Zeilinger: Was die Digitalisierung betrifft, bin ich kein großer Optimist. Der Prozess ist zwar spannend, aber leider gibt es einen Pferdefuß: Die große Gefahr, vor der wir stehen, ist, dass die digitalen Systeme sehr anfällig sind: einerseits für Ausfälle, andererseits für Sabotage. Vieles deutet darauf hin, dass die wichtigen Infrastruktursysteme durch Sabotage bereits von außen abgedreht werden können. Österreich sollte diese Gefahr viel ernster nehmen.

DIE FURCHE: Sie meinen, man sollte mehr in Cybersicherheit investieren?
Zeilinger: Man muss wirklich sichergehen, dass die Systeme nicht von außen manipuliert werden können. Eine Voraussetzung wäre, dass bei allen Computerprogrammen der Quellcode publiziert werden muss. Damit ließe sich überprüfen, wo Probleme auftreten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Herausforderung überhaupt lösbar ist.

DIE FURCHE: Die Innovationen im Bereich der Quantentechnologie erwachsen aus den Leistungen der Grundlagenforschung. Wie sehen Sie deren aktuelle Situation?
Zeilinger: Das kurzfristige Denken in der heutigen Forschungspolitik macht mir große Sorgen. Man müsste mehr Wert darauf legen, dass hochriskante Ideen gefördert werden, auch auf europäischer Ebene. Ich halte es für ein systemisches Problem, dass man bei jedem Forschungsprojekt einen Jahresplan angeben muss: Was mache ich, was kommt dabei heraus? Bei Grundlagenforschung ist das doch Unsinn! Wenn Forscher in drei Jahren noch genau das machen, was sie in einem Programm festgelegt haben, dann ist das nicht erstklassige Wissenschaft. Denn in dieser Zeit sollten ihnen bereits neue Ideen kommen, die besser sind als das, von dem sie ausgegangen sind. Gerade die Entwicklung der Quantenphysik zeigt, dass die wirklichen Durchbrüche nie durch sogenannte Zielorientierung zustande kommen. Hätte die Politik von uns verlangt, dass wir von vornherein etwas „Nützliches“ machen, hätten wir die aktuellen Entwicklungen komplett versäumt.

Die Welt ist nicht nur materiell – es gibt mehr, als man in den Naturwissenschaften sehen und messen kann: Das war und ist eine wichtige Erfahrung meines Lebens.

DIE FURCHE: Ihre Arbeit hat sie auch nach China geführt, wo Sie letztes Jahr für Ihre Forschungen zur sicheren Quantenkommunikation mit einem Preis der „Micius Quantum Foundation“ ausgezeichnet worden sind. In China wurden in letzter Zeit innovative Forschungsfelder aufgebaut, zugleich wird die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten von Europäern oft mit Skepsis beäugt. Wie sehen Sie den chinesischen Weg?
Zeilinger: Meine Wahrnehmung deckt sich nicht unbedingt mit dem China-Bild, das bei uns oft kolportiert wird. Die Chinesen haben einen pragmatischen Zugang: Ideen werden nicht von vornherein verdammt, nur weil sie nicht ins System passen. Von den chinesischen Kollegen hört man oft, dass ihr politisches Regime in einer bis zu 5000 Jahre alten Tradition steht. In dieser Denktradition, insbesondere im Konfuzianismus, gibt es das Bild eines „großen Meisters“, dem man Verehrung entgegenbringt. Dieser sollte vorsichtig sein, Ideen zu äußern, die sich als falsch herausstellen könnten, denn dann würde er ja blöd dastehen. Andererseits sollten junge Mitarbeiter nichts vorbringen, was den Aussagen des Meisters zuwiderlaufen könnte. Im Wissenschaftsbetrieb ist beides problematisch. Auf chinesische Anfragen habe ich daher geraten, dass junge Forscher in der Lage sein sollten, ihre Ideen unabhängig von etablierten Experten zu verwirklichen – auch wenn sie verrückt klingen mögen. In autoritären Systemen fungiert Wissenschaft oft als letzte Brücke nach außen: Wenn man Forscher aus solchen Ländern trifft, spricht man dieselbe Sprache, unabhängig von nationalen oder religiösen Kategorien. Diese gemeinsame Basis sollte man unbedingt weiter fördern.

DIE FURCHE: Apropos China: Sie kennen den Dalai Lama sehr gut; 2012 haben Sie mit ihm in der Wiener Stadthalle über „Geist und Materie“ diskutiert. Gibt es im Austausch zwischen moderner Quantenphysik und dem jahrtausendealten Buddhismus interessante Schnittstellen?
Zeilinger: Diese Debatten waren überhaupt nicht esoterisch. Es gab auch nicht das Gefühl einer religiösen Verehrung. Aber es ist schon fantastisch, dem Dalai Lama zuzuhören: Er ist einer der intelligentesten und zugleich warmherzigsten Menschen, die ich kenne. Spannend war die Diskussion, ob es so etwas wie Zufall geben kann. Es gibt zwar bereits Bücher, die Buddhismus und Quantenphysik verbinden. Doch die darin gezeigten Parallelen sind oft zu vordergründig. Denn in diesem Austausch geht es um eine der tiefsten Fragen, die man überhaupt stellen kann: Was kann über die Welt ausgesagt werden?

DIE FURCHE: In der Quantenphysik ist die Rolle des Beobachters wichtig, da seine Perspektive in das System hineinwirkt. In der Achtsamkeitsmeditation beobachtet man geistige Vorgänge und bemerkt, dass allein die Art und Weise, wie man hinschaut, auf diese Vorgänge zurückwirkt. Die Beziehungsgestaltung, so könnte man sagen, verändert die Welt. Ist das physikalisch haltbar?
Zeilinger: Ein Beobachter macht Aussagen über die Welt. Das Quantensystem ist dann die Darstellung dieser Aussagen, unseres Wissens. Natürlich ist es beeinflusst von den Fragen, die wir stellen. Ernst Mach, der berühmte österreichische Physiker und Naturphilosoph, hat betont, dass jede Aussage in der Wissenschaft eine Aussage über die Beziehung von beobachtbaren Größen sein muss. Es sind stets relative Bezüge, über die wir sprechen. Ähnliches sagt auch der Dalai Lama. Schon interessant, dass zwei so verschiedene geistige Traditionen, die sich gänzlich unabhängig entwickelt haben, zu ähnlichen Einsichten kommen.

DIE FURCHE: Eine persönliche Frage zum Schluss: Was gibt Ihnen nachhaltige Orientierung?
Zeilinger: Die Überzeugung, dass es etwas Trans­zendentes gibt: Manche Menschen nennen das Gott, oder wie auch immer. Für mich ist das sogar mehr als eine Überzeugung, nämlich eine wichtige Erfahrung meines Lebens: dass die Welt nicht nur materiell ist. Diese Erfahrung habe ich inter­essanterweise schon immer gehabt. In meinem Leben gab es keinen Moment ohne Gott. Das heißt nicht, dass ich ununterbrochen in die Kirche gehe. Was ich meine ist, dass es etwas Metaphysisches gibt – mehr, als man in den Naturwissenschaften sehen und messen kann.

DIE FURCHE: Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion ist historisch belastet. Sehen Sie heute die Grundlage für eine fruchtbare Begegnung?
Zeilinger: Vereinfacht gesagt lassen sich die Spannungen zwischen Wissenschaft und Religion darauf zurückführen, dass beide Seiten ihren Kompetenzbereich überschreiten: Wenn etwa Naturwissenschafter behaupten, sie könnten die Evolution restlos erklären, übersehen sie, dass sie den Zufall, der dabei eine Rolle spielt, eben nicht erklären können. Auf der anderen Seite nehmen religiöse Fundamentalisten die Bibel wortwörtlich und behaupten, die Schöpfung sei genauso abgelaufen, wie es dort geschrieben steht. Dieses Missverständnis der jeweiligen Position ist eine Katastrophe. In Wahrheit ergänzen Wissenschaft und Religion einander. Das sehe ich durchaus positiv!

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