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Brief #27: Ein harmlos-lieber Jesus war immer eine Irrlehre

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen die Radiomenschen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diesmal geht es um das Gemälde „Tattooed Jesus Pieta“ der kanadischen Malerin Marianna Gartner.

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen die Radiomenschen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diesmal geht es um das Gemälde „Tattooed Jesus Pieta“ der kanadischen Malerin Marianna Gartner.

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Liebe Frau Hirzberger!

Am liebsten würde ich mich nur einem der Themen aus Ihrem jüngsten Brief widmen, und zwar jenem, das mir wieder „unter die Haut“ geht. Sie schreiben von der „religiösen Färbung“ meiner Vorurteile. Ich habe geschrieben, dass es in der Zeit meiner Kindheit starke Vorurteile gegen tätowierte Menschen gegeben hat, so wie gegen vieles, was uns damals fremd war.

Aber es stimmt: Meine Vorbehalte jetzt gegen Tattoos sind auch religiös begründet. Mein Nachdenken über all das hat mir ein starkes Erlebnis in Erinnerung gerufen: Vor etlichen Jahren war in der Kunsthalle Krems in einer Ausstellung (bezeichnender Titel „Lebenslust und Totentanz“) das große Gemälde „Tattooed Jesus Pieta“ der kanadischen Malerin Marianna Gartner zu sehen. Meine erste Reaktion damals: Blasphemie! Als Paraphrase zur weltberühmten „Pietà d’Avignon“ aus dem 15. Jahrhundert hat die Künstlerin den nackten Leichnam Christi über und über mit Tattoos bemalt. Drachen und Schlangen, Engel und Teufel, Totenschädel und Rosen. Neben Jesus kniet ein nackter Mann mit unversehrter blendend heller Haut. Seine Hände stützen zärtlich das Haupt Jesu, damit es nicht vom Schoß der Mutter kippt. Nach langer Betrachtung dieses „Tattooed Jesus“ war ich damals (und bin es auch jetzt wieder – dank Google) tief bewegt. Es ist, als hätte dieser Jesus auch dem weißen Mann neben sich alle Zwiespältigkeiten des Lebens und der Zeit weg- und auf sich genommen.

Mit einer Frage im letzten Brief haben ja Sie Jesus „ins Spiel“ gebracht. Ob er vielleicht „zu links“ wäre, wie Evangelikale in den USA meinen. Ich glaube, ein harmlos-lieber Jesus war immer eine Irrlehre. Er stört. Nicht nur Dostojewskis Großinquisitor. Und nicht weil er ein Starker ist, sondern einer, der vom Hochmut zur Demut weist und vom Entsetzen über die Leiden in der Schöpfung zu einem Mitleiden. Ist das links?

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„I cry in a world of sleep“ hat die englische Künstlerin Tracey Emin auf einen ihrer berühmten Patchworkpolster gestickt. Den Klimaaktivisten ist ein Schreien zu wenig, zu verwachsen sind die Ohren, die sie hören sollten.

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