Erklär mir deine Welt
DISKURSBrief #20: Wie kompliziert kann man schreiben?
In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Im 20. Brief geht es um Weltschmerz und den nötigen Rückenwind.
In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Im 20. Brief geht es um Weltschmerz und den nötigen Rückenwind.
Lieber Herr Gaisbauer!
Ihr Brief erreicht mich beim Frühstück, es gibt Weckerl mit Erdnussbutter und schwarzem Kaffee. Ehrlicherweise habe ich mich ein bisschen vor Ihrer Antwort gefürchtet, ich wollte nicht, dass mein Weltschmerz wieder geweckt wird. Das klingt egoistisch, ist es auch. Aber ich kann halt nur ein gewisses Maß an Machtlosigkeit an mich ranlassen, um mich noch gesund zu fühlen. Und auch das ist wichtig, nicht nur für mich, auch für meine Liebsten. Jedenfalls haben Sie mich mit Ihrer Kamelgeschichte überrascht. Ich musste sogar kurz auflachen. So etwas liebe ich.
Innige Beziehungen, ob Familie oder Freundschaft, sind für mich vielleicht ein Ausweg aus dem Weltschmerz. An das Bild heranzoomen und auf die kleinen Details achten. Wenn ich Sie richtig verstehe und Sie meinen, Weltschmerz sei in Ihrer Definition eine Ausrede, um nichts zu ändern, dann stimme ich Ihnen teilweise zu. Gleichzeitig ist es schwierig, als Einzelperson, ohne das nötige Kleingeld oder eine Entscheidungsfunktion, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Das bringt mich zu meiner letzten Moderation bei den Konsum Dialogen in Hallein. Es ging um die Grenzen der Nachhaltigkeit in der Fashionund Textilindustrie. Bereits vor drei Jahren war der Textilsektor ja die drittgrößte Quelle für Wasserverschmutzung und Flächenverbrauch. Und die Produktionen nehmen immer weiter zu. Ich gebe zu, das Modeangebot überfordert mich, deshalb habe ich mich dazu entschieden, einfach nichts mehr zu kaufen und zu ignorieren, wenn manche Kleidungsstücke Löcher haben. Aber zurück zum Thema. Eine Person aus dem Publikum meinte, man müsse fast fashion moralisch sanktionieren. Ja, okay, verstehe ich, kann sein, dass ich das okay finde, ganz sicher bin ich mir aber noch nicht. Mein Problem damit ist, dass die Verantwortung, so wie auch im Beispiel des Weltschmerzes, auf das Individuum heruntergebrochen wird. Ein zweiter Gedanke, der mich noch immer beschäftigt, geht auch auf eine Publikumsbemerkung zurück. Die Jungen seien ja die, die massig bei „Shein“ shoppen und damit das Problem anheizen würden. Die Besucherin erklärte ausführlich, wie sehr sie sich daran stört, von ebenjenen Jungen als klimabedrohender Boomer abgestempelt zu werden, immerhin habe sie in ihrer Jugend nie in solch einem Überfluss gelebt. Schwierig, finden Sie nicht auch?
Irgendwie verstehe ich beide Seiten und kenne selbst keine konkrete Lösung. Ach, da fällt mir ein, ich lese gerade, „Herzzeit“, den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann, Paul Celan und anderen. Darauf gekommen bin ich Ihretwegen. Was sagen Sie zu diesem Buch? Ich gehe schon einmal in Deckung, denn meine folgenden Fragen könnten für Liebhaberinnen stümperhaft klingen.
Aber, ich frage ja nur. Erstens: Wie kompliziert kann man schreiben? Zweitens: Ganz ehrlich, hatten die beiden eine klassische toxische Beziehung, ich lese auch ein bisschen gaslighting raus? Drittens: Es wird ja gerade viel über KI und die Möglichkeit, dass Tote durch diese Technik sozusagen wieder zum Leben erweckt werden können, gesprochen, dass es eigentlich auch ein Recht auf Vergessen gibt oder geben sollte. Ist es in so einem Fall nicht ähnlich? Dennoch ziehen mich die Briefe in den Bann, und ich kann auch nicht anders als weiterlesen. Ich bin gespannt, was Sie mir antworten werden.
Ihre Johanna Hirzberger
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