Gaisbauer - © Foto: Furche

Brief #55: Rundum krähen die Hähne

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In der Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um mediale Pufferzonen.

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In der Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um mediale Pufferzonen.

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Liebe Frau Hirzberger!

Ja, es geht mir auch oft wie Ihnen, wenn Sie schreiben, dass Ihnen Geduld eine Qual ist. Mir auch. Vor allem Geduld mit mir selbst. Es will einfach nicht klappen, dass ich mit dem Alter endlich geduldig, gütig, weise und gelassen werde. Das beginnt am Morgen. Weil Sie Ö1 erwähnen: Ich werde wütend, wenn bereits am frühen Morgen völlig heterogene Programm- und Interviewfetzen bemüht anmoderiert oder als Werbedurchsagen in meine Morgenstimmung fliegen. Als „Trailer“, wie es so hässlich heißt. Wenn die Sendeminuten einander nicht mehr an der Hand halten, sondern sich gegenseitig aus dem Weg rempeln.

Dazu belanglose Musik, die in keinem Köchelverzeichnis steht. Einfach ein kulturloses Durcheinander von Themen, die ein Nebeneinander nur schwer ertragen. Da fehlt es doch – denke ich als hoffnungsloser Nostalgophiler (schlagen Sie nicht im Fremdwörterbuch nach, ich habe den Begriff eben erfunden) – an jedem Gespür! Und bei mir an jeder Geduld! Ich drehe das Küchenradio ab, ich verschone mich von den allerübelsten Nachrichten Trump, Putin und Netanjahu betreffend. Aber der Grant bleibt. Und ich bin mir wieder einmal der überraschendsten Neuigkeit sicher: Es fehlt mir jede Gelassenheit. Jede. Und mit dem muss ich leben, das wird sich nicht mehr ändern. Jetzt ernsthaft: Die oft krass gedankenlosen Übergänge in den Medien sind nicht bewältigt. Diese ab- und anstandslose, ja atemlose Abfolge völlig verschiedener Inhalte. Ist es Ignoranz? Oder steckt ein Konzept dahinter, ein finanzieller Kampf um Sekunden? Werbesekunden zum Beispiel. Dann ist es wirklich ein Verbrechen. Und wahrscheinlich die Wurzelsünde derGrundübel dieser Zeit: Abstumpfung, Gleichgültigkeit und Pietätlosigkeit. Von den selbstgesteuerten Gefühlsund Themensprüngen in den Social Media rede ich gar nicht. Ich weiß nicht, was dagegen getan werden könnte, ja müsste, wenn innerhalb einer Minute auf die Bilder der verhungerten Kinder der Welt die fröhlich im Überfluss schmausende, strahlende Jungfamilie erscheint.

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