gaisbauer_emdw3

Brief #5: Ich zehre von jenem Morgenlicht

19451960198020002020

In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diesmal geht es um das Haltfinden, das Berührtwerden durch das Zweite Vatikanum und das Tagebuchschreiben.

19451960198020002020

In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diesmal geht es um das Haltfinden, das Berührtwerden durch das Zweite Vatikanum und das Tagebuchschreiben.

Werbung
Werbung
Werbung

Liebe Frau Hirzberger!

Unsere Korrespondenz erfreut mich. Viele Ihrer Sätze regen mich zum Denken an. Jetzt zum Beispiel, beim Äpfelschälen. Da mischt sich ja der Apfelduft auch noch ein. Ein Satz in Ihrem letzten Brief lässt mich nicht mehr los: „Ich will den Halt nicht verlieren.“ Sie haben damit etwas getroffen, das auch für mich gilt. Je älter ich werde, umso mehr. Wo suche, wo finde ich Halt? Dort, denke ich, wo ich mich selber zuwenden kann, wo ich berührbar, vielleicht sogar verletzbar bin. Dann spüre ich, dass ich nicht zu den „Unerreichbaren“ gehöre. Das hat mir Peter Handke bewusst gemacht, wenn er in „Die Obstdiebin“ beklagt, dass den Unerreichbaren – oft schuldlos – die Freude „am Gottschönen“ versagt ist.

Noch ein Wort zu Papst und Kirche: Es gibt gewiss tausend Gründe, ihnen den Rücken zu kehren. Und tausend und einen Grund, ihnen zugewandt zu bleiben. Aber da betonieren die Bewahrer ihre Trutzburg und dort mühen sich die Erneuerer – siehe Synodaler Weg in Deutschland –, aus einem Trümmerhaufen ein neues Haus zu bauen. Dazwischen der Papst, der ja auch nur ein Kind seiner Sozialisation ist – und dahinter die träge Flaute der Gleichgültigen.

Die Morgenröte eines Konzils

Was mich wirklich berührt: dass Sie spüren, wie Ihnen „diese Institution das Licht zum Sehen nimmt“! Denn eigentlich sollte ja das Gegenteil der Fall sein: Ich mache dich zu einem Licht für die Völker! Heißt es. Manchmal wär‘ ich froh, wenn „diese Institution“ für viele, die in der Kälte stehen, wenigstens eine warme Lampe bereit hätte!

Wir Alten haben es schon einmal anders erlebt: Licht! Vor sechzig Jahren haben wir die Morgenröte eines Konzils gesehen. Und auch erlebt, was davon wieder verspielt worden ist. Aber glauben Sie mir, dass ich noch immer von jenem Morgenlicht zehre – geduldig und oft unter trüben Schatten. Auch das erklärt meine Welt und die mancher meiner Altersgenossen. Ist das nur retro?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung