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Brief #28: Haben Sie schon einmal neu begonnen?

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen die Radiomenschen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diesmal geht es um Kirchenbeitrag, Glauben und das Anfangen.

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen die Radiomenschen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diesmal geht es um Kirchenbeitrag, Glauben und das Anfangen.

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Lieber Herr Gaisbauer!

So interessant ich Ihren letzten Brief fand, so schwer fällt es mir im Moment, mich an religiösen Gesprächen zu beteiligen. Dass ich mit Bibelstellen zuletzt im Religionsunterricht konfrontiert war, ist sicher nur einer von vielen Gründen dafür. Und ja, ich habe mich in unserem Briefwechsel bereits dafür geoutet, dass ich zwar glaube – aber eher an ein Gefühl als an engstirnige Schriften von (wie vielleicht viele woke Menschen heute sagen würden) toxischen Männern. Damit möchte ich niemanden angreifen, für den oder die Glaube in dieser Form wichtig ist. Ich bewerte auch nicht die Rezipientinnen und Rezipienten, sondern nur die Produzenten – und frage mich, wie schon so oft, welche Ideologie ich mit meinem Kirchenbeitrag finanziere. Neben meinem Frühstückskaffee liegt nämlich gerade meine Kirchenbeitragserklärung für dieses Jahr.

Wut und Frust über ein Paradoxon

Eigentlich wollte ich den Brief an Sie mit anderen Worten beginnen, doch dann sprach ich gestern mit einem Kollegen über meine Antwort, und er erzählte mir davon, dass sein Partner sich liebevoll darüber lustig mache, dass er Teil eines Vereins sei, der ihn und seine Existenz hasste. Das ist doch wirklich paradox. Und es macht mich wirklich wütend. Es frustriert mich. Denn worüber ich ebenfalls mit meinem Kollegen gesprochen habe, ist die Sehnsucht nach innerem Frieden, nach einer tiefen Verbundenheit mit der Welt, nach Hoffnung und Halt auch in Zeiten der Krise.

Erst kürzlich las ich ein Buch, in dem ein amerikanischer Facharzt für Psychotherapie Gesundheit, Glück und Lebenszufriedenheit auf Basis von Gehirnstrukturen analysierte. Er untersuchte hunderte Gehirn-Scans von Patientinnen und Patienten – und erkannte, dass Gehirne älter oder jünger sein können als ihre Besitzer(in). Und dass sich dies durch Ernährung, Stress – sowie Alkoholreduktion, Sport – aber auch Glaube und damit die Haltung, mit der wir durch unser Leben gehen, beeinflussen lässt.

Schultüte mit Micky Maus

Neue Dinge zu lernen, ist übrigens auch ein solcher „Gehirn-Booster“. Passend dazu: Diese Woche ist Schulbeginn! Zumindest in Wien. Wie war denn Ihr erster Schultag? Hatten Sie eine Schultüte? Meine war gelb mit Micky Maus drauf. Gefreut habe ich mich ehrlicherweise nicht auf die Schule. Ein Grund war die klassenbedingte Trennung von meinen zwei Kindergartenfreundinnen. Als ich mit zehn Jahren ins Gymnasium wechselte und dafür mit dem Bus in die nächste Stadt fahren durfte, hat sich meine Einstellung zur Schule geändert. Vor allem als ich in die Oberstufe kam, wusste ich die Menschen, die mich umgaben, zu schätzen und genoss jeden Moment mit ihnen. Naja, vielleicht romantisiere ich diese Zeit auch, aber für mich war sie eine der schönsten.

Vielleicht freue ich mich auch deswegen immer sehr auf den Herbst, der mich an diesen Lebensabschnitt erinnert. Wenn die Sonnenstrahlen auf meiner Haut sanfter werden und das Licht golden auf bunte Blätter leuchtet, kommt in mir das Gefühl von Neubeginn auf. Haben Sie schon einmal neu begonnen?

Ihre Johanna Hirzberger

Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast

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