Erklär mir deine Welt
DISKURSBrief #43: Vor sich selbst nicht die Augen verschließen
In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen die Radiomenschen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um die Feiertage.
In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen die Radiomenschen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um die Feiertage.
Liebe Frau Hirzberger!
Wenn ich in diesen Tagen den Postkasten öffne und einen Blick auf die einlangende Post werfe, geht es mir gar nicht so gut. Teils sind es befreundete Menschen, die mir/uns schöne Feiertage wünschen. Manche originell, andere bieder, alle gewiss gut gemeint. Dann die aufdringlichen Bettelbriefe mit Beigaben. Von Hundeeinkaufstaschen bis zu Kugelschreibern mit Namensaufdruck, deren Schreibfähigkeit aber kaum die Lebenserwartung einer Stubenfliege erreicht. Da fällt mir die Freundin ein, die einmal empört nach Ausräumen ihres Postkastens ausgerufen hat: „Ich hau den ganzen Krempel in den Mist und kauf jetzt im Internet einen Ochsen oder einen Esel für Burundi!“ Also mit der zweiten Aktion hat sie meine Zustimmung. Nicht nur, weil Weihnachten ist.
Gewissenserforschung
Und noch etwas verschafft mir Unbehagen, gerade in diesen Tagen. Ich bewältige es einfach nicht mehr, alle meine Beziehungen von einst und jetzt so zu pflegen, wie ich es mir eigentlich wünsche. Etwa mit einem richtigen Brief. Das Erledigen der Weihnachtspost wird so zu einer Gewissenserforschung. Und weil Sie, liebe Frau Hirzberger, vom Schämen geschrieben haben: Ja, ich schäme mich dafür, dass ich manche Freundschaft vernachlässigt habe. Und natürlich für einiges andere auch noch. Was glauben Sie, wie viele Gründe zum Schämen da im Laufe eines längeren Lebens zusammenkommen! Glücklich der Mensch, der sagen kann, ich habe noch nie jemanden so enttäuscht, dass ich mich dafür schämen müsste. Den gibt es nicht.
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