
Ich verlange von Kunst, dass sie mich anschreit
In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um Hochkultur und Detox.
In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um Hochkultur und Detox.
Liebe Frau Hirzberger!
Wieder haben Sie es geschafft, dass ich nach dem Lesen Ihres Briefes sehr nachdenklich davor gesessen bin. Ich weiß, wie es ist, wenn man – etwa vor einem Konzert oder im Theaterfoyer – plötzlich unter Menschen steht, die eine Atmosphäre um sich verbreiten, als ob nur sie hier richtig wären. Über so ein Kultur-Gedränge fällt mir ein Wort von Peter Handke ein: „Da bin ich fern vom Ich, da bin ich jemand Anderer.“ Ich kann auch nur sehr schlecht Smalltalkisch, will vor einem Konzert nicht über das Wetter reden und lasse mir nachher nicht beckmesserisch zerreden, was mich vielleicht gerade zu Tränen gerührt hat. Denn eigentlich will ich ja doch „jemand Anderer“ werden, gerade wenn ich ins Theater, ins Konzert oder in eine Ausstellung gehe. Will mit mir ins Reine kommen. Nicht mehr fremd sein mit mir.
Jedenfalls will ich zu den besser Angezogenen gehören. Darum habe ich ein weißes Hemd an und mir die Schuhe geputzt. Ich möchte nicht, dass sich jemand mit verschwitztem Sweatshirt neben mir niederlässt, sondern in einem blauen Blazer. Die Kunst (oder Kultur) und ich wollen ja ein Fest der Begegnung feiern. Ist das Hochkultur? Ich will nicht nur schwelgen, ja ich verlange von Kunst, dass sie mich immer wieder anschreit: Du musst dein Leben ändern! Wenn mir dies versagt bleibt, dann wäre ich besser in meinem Zimmer geblieben.
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