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Brief #13: Gibt es nicht auch bewunderndes Anschauen?

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Sollen Männer die Augen niederschlagen wie weiland Kleriker, wenn sie einer Frau ansichtig wurden? Zu welchen Seelenverkrümmungen das führt, wissen wir.

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Sollen Männer die Augen niederschlagen wie weiland Kleriker, wenn sie einer Frau ansichtig wurden? Zu welchen Seelenverkrümmungen das führt, wissen wir.

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Liebe Frau Hirzberger!

Merkwürdig: Am selben Tag, da ich Ihren jüngsten Brief gelesen habe, habe ich aus Lust und Laune in Shakespeares „Wie es euch gefällt“ geblättert und bin – ich lüge nicht! – gleich einmal auf den Satz von Rosalinde gestoßen: „Schönheit lockt Diebe schneller noch als Gold.“ Die Verbindung mit Ihrer Klage, dass Sie sich im Alltag von männlichen Blicken bewertet, belästigt, ja sogar bedroht fühlen, lag für mich nahe. Sie schreiben von „Angriffsflächen“, als befürchteten Sie einen Überfall. Ich als Mann kann dieses Gefühl in seiner Tragweite wahrscheinlich gar nicht richtig ermessen. Schwierige Frage: Gibt es neben diesem verdammten Übergriff des Blicks nicht doch auch das bewundernde Anschauen? Oder sollen alle Männer die Augen niederschlagen wie weiland Kleriker, wenn sie einer Frau ansichtig wurden? Zu welchen Seelenverkrümmungen das geführt hat, wissen wir heute.

Einen Ausweg haben Sie angedeutet. Sie haben vom „Lesen“ einer anderen Person geschrieben. Das ist, wenn man es richtig versteht, ein hilfreiches Wort. Denn „jedes Wesen schreit im Stillen danach, richtig gelesen zu werden“ (Simone Weil). Also auf, ihr Analphabeten alle: Lernt endlich lesen! Scharfe Augen dafür zu bekommen, um die Goldkörnchen zu sehen, die in jedem Menschen verborgen sind – darum geht es.

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